Abenteuerlich klingende, aber mäßig gehaltvolle Vorwürfe, die zu einer Anzeige bei der Justiz, zu Razzien, zur Gefährdung sensibler Daten und zu einer Suspendierung führen: So habe man versucht, BVT-Chef Peter Gridling abzumontieren, werfen viele Kritiker der neuen Führung im Innenministerium vor. Was aber tut Behördenleiter Gridling, wenn er mit einem mäßig gehaltvollen Vorwurf gegen einen Mitarbeiter konfrontiert ist? Er erstattet rasch Anzeige bei der Justiz – die zu Razzien, zur Gefährdung sensibler Daten und zu einer Suspendierung führt. ADDENDUM über Konflikte im österreichischen Inlandsgeheimdienst.

ADDENDUM konnte Einblick in Ermittlungsakten nehmen, die den Fall eines langjährigen Mitarbeiters im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) betreffen. Das BVT zeigte Herrn O. im November 2017 bei der Staatsanwaltschaft Wien an. Der „Anlassbericht“ ist zwar von einem anderen hochrangigen BVT-Beamten gezeichnet, der Inhalt beruht jedoch maßgeblich auf Gridlings persönlichen Angaben.

Der Hauptvorwurf wiegt schwer und klingt wie aus einem James-Bond-Krimi: O. habe möglicherweise Geheiminformationen an eine fremde Macht weitergegeben. An wen, bleibt offen. Es wird aber auf „zahlreiche Kontakte zu Vertretern russischer Nachrichtendienste“ verwiesen, die O. in einer früheren dienstlichen Tätigkeit gehabt haben soll.

Kein Beweis für Datenweitergabe

Das Ermittlungsverfahren läuft noch, ob an den strafrechtlichen Vorwürfen etwas dran ist oder nicht, ist also noch nicht entschieden. Offensichtlich konnte aber monatelang nichts gefunden werden, was eine Datenweitergabe belegen würde. Zudem scheiterten zwei Versuche, den BVT-Mitarbeiter zu suspendieren, bei Gericht. O. bestreitet jegliches Fehlverhalten und sprach Ermittlern gegenüber von einer Intrige.

Wie auch immer der Fall ausgeht: Er zeigt exemplarisch, wie im für die Sicherheit der Republik zuständigen Verfassungsschutz üblicherweise vorgegangen wird. Offensichtlich unterscheidet sich das – heftig kritisierte – rigorose Handeln von Innenministerium und Justiz gegen Gridling und andere BVT-Beamte nicht gar so sehr von dem, was die BVT-Spitze selbst in Bezug auf andere für angemessen hält.

Gridlings Treffen mit „Freunden“

Es beginnt alles eher nebulos: In einem persönlichen Gespräch im Jänner 2017 sei ihm von einem „befreundeten Partnerdienst“ persönlich der Verdacht mitgeteilt worden, dass „es zu einem Informationsabfluss im BVT kommt und vermutlich (…) O. die Quelle des Informationsabflusses ist“. So gab es Gridling in einer Zeugeneinvernahme in den Morgenstunden des 28. Februar 2018 – zusammengefasst – zu Protokoll.

Alles persönlich, alles mündlich

In der Einvernahme zur Causa O. erzählte Gridling weiter, wie ihm im Oktober 2017 – wieder im persönlichen Gespräch – vom „Partnerdienst“ derselbe Verdacht ein zweites Mal kundgetan worden sei: „Es wurde im Prinzip wiederholt, was im Jänner gesagt worden ist.“ Dem BVT-Direktor waren die Anschuldigungen jedoch zu vage. Der „Partnerdienst“ wurde gebeten, diese zu erhärten und allenfalls Beweise vorzulegen. Das sei seitens des „Partnerdiensts“ in Aussicht gestellt worden, wie es in der Anzeige des BVT gegen O. heißt.

Und tatsächlich: Ein paar Wochen später, am 19. November 2017, bat der „Partnerdienst“ um ein dringendes Treffen, das am Tag darauf stattfand. Seitens des BVT war wieder nur Gridling anwesend. Er sagte dazu als Zeuge: „Mir wurde mündlich mitgeteilt, dass von einem BVT-Account zu einem privaten E-Mail-Account von O. eine als ‚geheim‘ klassifizierte Information übermittelt worden sei.“ Wie aus der Anzeige hervorgeht, konnte der „Partnerdienst“ offenbar sogar das Datum nennen: der 14. November 2017, nicht einmal eine Woche vor dem Treffen mit Gridling.

Suspendierung zweimal aufgehoben

Der BVT-Chef leitete Schritte ein. Er ließ zunächst intern den Dienst-Mailaccount von O. überprüfen – und offenbar wurde die IT-Abteilung fündig. Zwar sind in der Anzeige keine Details genannt. Im Endeffekt fanden sich aber drei Mails mit insgesamt zehn Anhängen, die sich O. am 14. November 2017 vom Dienstaccount auf eine private Google-Adresse übermittelt hatte. Dass das verdächtig wirkt, scheint logisch. Eine Sache ist aber wichtig zu wissen: Im BVT haben nur besonders hochrangige Mitarbeiter von außen Zugriff auf ihre Dienst-Mails. O. zum Beispiel nicht.

Das BVT erstattete jedenfalls nicht nur Anzeige. O. wurde auch suspendiert. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht die Suspendierung mittlerweile bereits zweimal wieder aufgehoben. Im dienstrechtlichen Verfahren erklärte O., Mitarbeiter des BVT müssten ständig erreichbar sein und immer auf Akten zugreifen können. Das Mailen von Dokumenten vom dienstlichen zum privaten Mailaccount und umgekehrt sei im BVT gängige Praxis. Dies werde vom Direktor des BVT auch ausdrücklich gebilligt.

Rasche Anzeige ohne Detailprüfung

Im November 2017 sah Gridling das jedenfalls anders. Offensichtlich ohne selbst den Inhalt der Mails und der Beilagen zu überprüfen, erstattete das BVT Anzeige. Im Wesentlichen wurden die Beschuldigungen des „befreundeten Partnerdienstes“ wiedergegeben, der sich auf eine „nachrichtendienstliche Quelle“ berief. Neben dem beiläufigen Hinweis auf angebliche Russen-Kontakte ließ es sich das BVT allerdings nicht nehmen, der Staatsanwaltschaft mitzuteilen, dass O. in seiner mehr als 20 Jahre dauernden Tätigkeit im Staatsschutz einmal „aufgrund von Aktivitäten, die nicht im Einklang mit seinen polizeilichen Aufgaben standen“ vorzeitig von einem Auslandsposten abberufen worden sei.

Das Bild, das der Staatsanwalt dadurch bekommen musste, liegt auf der Hand: Ein unzuverlässiger Beamter mit Russen-Kontakten hat Geheiminformationen abgezweigt. Entsprechend rasch handelten die Ermittlungsbehörden. Am Tag nach der Anzeige ersuchte das Bundeskriminalamt um die Anordnung einer Telefonüberwachung und einer Observation. Wiederum einen Tag später, am 22. November 2017, wurde O. auf dem Weg zu einer Dienstreise abgefangen, vom Verdacht informiert, suspendiert und direkt nach Hause begleitet – für die erste von drei Razzien, die in der Folge stattfinden sollten.

Wie bei der späteren Hausdurchsuchung im großen BVT-Skandal, lag da noch nicht einmal eine schriftliche Anordnung vor. Nun kann man bei einem gravierenden Verdacht in einem so sensiblen Bereich immer damit argumentieren, dass man keine Zeit verlieren darf. Die gesicherte Faktenbasis zu diesem Zeitpunkt wirkt allerdings dünn: Laut Akt wurde der Dienst-Account von O. durch die Ermittler im Zuge der Razzien sichergestellt.

Eine Auswertung konnte logischerweise erst danach stattfinden. Nicht einmal im Ansatz geklärt war der entscheidende Punkt, ob Informationen in den Mails tatsächlich „klassifiziert“ waren, wie dies der „befreundete Partnerdienst“ behauptet hatte. Doch dazu später mehr.

Tarnidentitäten im Akt vermerkt

Das rigorose Einschreiten von BVT und Ermittlungsbehörden sollte jedenfalls auch in diesem Fall dazu führen, dass Sicherheitsinteressen in Gefahr gerieten. Bald stießen die Kriminalbeamten nämlich auf Hinweise, welche Tätigkeit der Beamte O. beim BVT ausübt. Er administriert verdeckte Ermittlungen. Das ist so ziemlich der sensibelste Bereich, den es bei einem Nachrichtendienst gibt. Hatte das BVT den Mann in der Anzeige noch mit einem zarten, aber deutlich negativen Hinweis in Bezug auf seine Dienstpflichterfüllung versehen, sah man sich nun jemand ganz anderem gegenüber: jemandem, der regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen auf höchster Ebene bestehen und zwangsläufig als zuverlässig gelten muss.

Sonst wäre es wohl auch nicht erklärbar, warum das BVT ausgerechnet den Beamten O. mit sogenannten „Legendenpapieren“ ausgestattet hat. Konkret war O. beruflich gleich mit zwei Tarnidentäten unterwegs. Addendum kennt die Tarnnamen, nennt sie aber nicht, um keine Sicherheitsinteressen zu gefährden. Die Ermittler schrieben die Namen allerdings einfach in den Akt, der durch zahlreiche Hände geht. Die Tarnung ist damit wohl gestorben.

Adresse für verdeckte Treffen aufgeflogen

Wie groß der mögliche Schaden ist, zeigt der Aufwand, der für eine der beiden „Legenden“ betrieben wurde – und ihr Einsatz. O. verfügte unter einem seiner Tarnnamen über einen Personalausweis, über einen Führerschein, eine E-Card, ein Bankkonto und eine Kreditkarte.

Über das Konto wurden die Miete, die Haushaltsversicherung und der Strom für eine konspirative Wohnung – also eine Tarnwohnung, an der geheime Treffen stattfinden – im dritten Wiener Gemeindebezirk bezahlt. Nicht einmal die Bank wusste, dass das BVT dahinterstand. Addendum kennt die Adresse der Wohnung, nennt sie aber – aus obigen Überlegungen – nicht. Die Ermittler haben sie allerdings einfach in den Akt geschrieben.

Das ist besonders heikel, da nicht nur O. diese konspirative Wohnung dienstlich verwendete. Sie wird auch von anderen BVT-Beamten, die verdeckte Ermittler führen, für Treffen mit diesen benutzt. Steht die Adresse in einem Akt der Staatsanwaltschaft, der zwischen Korruptionsermittlern und Staatsanwälten hin und her gereicht wird, ist die Tarnung aufgeflogen.

Razzia im geheimen BVT-Büro

Das gilt auch für eine Wohnung im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Diese wurde vom Innenministerium bzw. vom BVT unter falschem Namen angemietet. Tatsächlich handelt es sich um ein Großraumbüro mit 150 Quadratmetern, in dem mehrere Beamte für den Bereich der verdeckten Ermittlungen sitzen. Deren Adresse hat unter kuriosen Umständen Eingang in den Ermittlungsakt gefunden: Bei den Razzien unmittelbar nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens wurden nämlich nicht nur die Wohnung des Beamten O. in Wien und sein Haus außerhalb der Bundeshauptstadt gefilzt. Man wollte auch sein Büro durchsuchen – im Glauben, dass er in der allgemein bekannten BVT-Zentrale im dritten Bezirk seinen Schreibtisch hätte.

Letztlich fand die Sicherstellung in Form einer vom BVT geduldeten freiwilligen Nachschau dann am tatsächlichen Arbeitsplatz – im verdeckten Büro im sechsten Bezirk – statt. Sicherheitstechnisch ist das für die dort tätigen Beamten ein Super-GAU. Im Durchsuchungsprotokoll wurde deshalb zunächst so getan, als wäre man im dritten Bezirk gewesen. Im Zuge der Beeinspruchung der Durchsuchung durch O. kam dann aber die tatsächliche Adresse in den Akt.

Bemerkenswert scheint auch, dass die Staatsanwaltschaft Wien – mit gerichtlicher Bewilligung – zunächst die Durchsuchung des vermeintlichen Arbeitsplatzes von O. in der BVT-Zentrale anordnete. Dies gleicht offensichtlich dem Vorgehen der Staatsanwältin in der BVT-Hauptcausa. Dort wurden die Hausdurchsuchungen nun allerdings vom Oberlandesgericht aufgehoben – mit der Begründung, man hätte stattdessen einfach nur das Innenministerium um Amtshilfe bitten sollen. Wie die Causa O. zeigt, war die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mit ihrer – nun spektakulär für falsch erklärten – Rechtsmeinung alles andere als alleine.

„Geheime“ Dokumente im Ermittlungsakt

Zurück zu den sicherheitstechnisch fragwürdigen Vorgängen in der Causa O.: Ebenfalls im Akt finden sich Dokumente, die angeblich so geheim sind, dass sich der Beamte diese nicht selbst schicken hätte dürfen. Was die zentrale – und für das BVT eigentlich leicht zu klärende – Frage betrifft, wie diese Papiere tatsächlich einzustufen sind, gab es jedoch noch Monate nach dem Start der Ermittlungen keine klare Festlegung.

Am 24. November 2017, also erst zwei Tage nach den Razzien und vier Tage nach der Anzeige, kam es laut Ermittlungsakt zu einer „ersten Bewertung der Besitzumstände, Weiterleitung und Klassifizierung der versendeten zehn Anhänge“ durch einen Vorgesetzten des beschuldigten Beamten. Der Vorgesetzte behauptete, O. hätte über sieben der Dokumente im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit gar nicht verfügen und neun nicht elektronisch aus dem BVT hinausschicken dürfen. Diese neun Dokumente würden der Geheimhaltung unterliegen und wären klassifiziert.

„Alles rechtmäßig“

O. selbst erklärte im Rahmen des dienstrechtlichen Verfahrens, das mit der Aufhebung der Suspendierung endete, sämtliche Dokumente seien rechtmäßig in seinem Besitz und kein einziges davon „klassifiziert“ – also als geheim eingestuft – gewesen.

Interessant ist, dass Gridling in seiner Zeugeneinvernahme Ende Februar die Frage „ad hoc“ nicht beantworten konnte, ob im BVT überprüft wurde, ob O. die Papiere legal besessen hat. Man hätte durchaus annehmen können, dass das die Grundvoraussetzung für eine so schwerwiegende Anschuldigung wäre. Schriftlich teilte das BVT dann am 16. März 2018 den Ermittlern mit: „Es gab keine Überprüfungen, da nicht bekannt ist, welche klass. Dokumente O. besessen hat.“ Möglicherweise weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Jedenfalls lässt dies die Erstüberprüfung durch den Vorgesetzten im November 2017 in einem fragwürdigen Licht erscheinen. Auf diese stützt sich allerdings wesentlich die Verdachtslage der Staatsanwaltschaft.

Verwaltungsgericht verneint begründeten Verdacht

Auch das Bundesverwaltungsgericht, das bereits zwei Mal die Suspendierung aufgehoben hat, war bis zuletzt nicht überzeugt von einem Fehlverhalten. In einem Entscheid vom 15. Juni 2018 heißt es: „Aus der Übermittlung von sieben (sic!) E-Mails an seine private E-Mail Adresse lässt sich nach Ansicht des Gerichtes noch nicht ein begründeter Verdacht ableiten, dass der Beschwerdeführer unbefugt Staatsgeheimnisse an andere Nachrichtendienste weitergeleitet hat.“

Die Justiz will weiter Klarheit in die Sache bringen. Wie der „Kurier“ vor einigen Wochen berichtete, wurde ein Rechtshilfeersuchen an die USA geschickt, um den Google-Account von O. öffnen zu lassen. Man kann also gespannt sein, ob hier tatsächlich ein Doppelagent am Werk war, der sich zunächst Papiere von seiner Dienst- auf die Privatadresse geschickt hat, um sie von dort dann an die Russen weiterzuleiten. Noch dazu alte Papiere, die O. – seinen Angaben im Dienstrechtsverfahren zufolge – seit 2014 zur Verfügung standen. Es wäre wohl die dümmste Spionageaktion des 21. Jahrhunderts.

Lesen ausländische Dienste Mails mit?

Rund um diesen Fall stellen sich mehrere wichtige Fragen: Hat sich im BVT tatsächlich die Praxis eingebürgert, dass dienstliche Dokumente – sei es auch ohne böse Absicht – nach außen geschickt werden? Dann wäre das dringend abzustellen. Und woher weiß ein „befreundeter Partnerdienst“, wann genau sich ein BVT-Mitarbeiter selbst von seinem Arbeitsplatz aus E-Mails schickt?

Eine detaillierte Anfrage von Addendum ließ Gridling mit Verweis auf das laufende Verfahren unbeantwortet. In seiner Zeugeneinvernahme Ende Februar hatte sich der BVT-Direktor „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ sogar geweigert zu sagen, von welchem „Partnerdienst“ die Information kam und auf welche Quellen sich dieser bezog. Vielleicht bringt der BVT-U-Ausschuss ja Licht in die Frage, ob – und wenn ja welche – „Freunde“ im Ausland Mails von österreichischen Nachrichtendienstlern mitlesen. Und in der Zwischenzeit muss man sich wohl nach ein, zwei neuen Tarnwohnungen umsehen.

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Addendum Artikelserie BVT: 

Die Einleitung auf SPARTANAT: BVT in Österreich: Wie kaputt war der Geheimdienst? 

Teil 1: Das BVT – eine Fehlkonstruktion?

Teil 2: Österreichischer Agent mit Agenda

Teil 3: Der „Chefspion“, der aus der Partei kam

Teil 4: Agent Gridling – die andere BVT-Affäre

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Dieser Artikel wurde zuerst auf ADDENDUM veröffentlicht. Copyright Text: ADDENDUM. Bilder: Lilly Panholzer/Addendum

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