Der Untersuchungsausschuss, der die politische Verantwortung für die Vorgänge rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) klären soll, hat ein bisher kaum beleuchtetes Problem: Er arbeitet mit alten Akten. ADDENDUM über das Ringen um den österreichischen Inlandsgeheimdienst.

Die Abgeordneten wissen nicht, was sich in den vergangenen Monaten im BVT-Strafverfahren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft getan hat. Bis zuletzt war der Aktenstand, mit dem die Ausschussmitglieder arbeiten, jener von April 2018. Damit kennen sie zum Beispiel auch jenen Amtsvermerk nicht, den ein Ermittler am 24. August 2018 angelegt hat. Würden sie ihn kennen, müsste man sich im Hohen Haus wohl die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, den U-Ausschuss in dieser personellen Besetzung weiterzuführen.

Mobiltelefon des Ex-Referatsleiters ausgewertet

Zuletzt hat sich der Fraktionsführer der ÖVP, Werner Amon, massiv in die Ausschussarbeit eingebracht. Kritisch wie kaum ein anderer hinterfragte er die Ermittlungsarbeit der fallführenden Staatsanwältin. Das ist sein gutes Recht. Die Frage ist allerdings: Vertritt Amon als Aufklärer die Interessen der Bürger? Oder hat er andere Interessen?

Letzteres ist nicht auszuschließen, wie der erwähnte Amtsvermerk mit dem Betreff „Mögliche unbefugte Weitergabe LANSKY Daten“ zeigt: Die Ermittler der Staatsanwaltschaft haben das Mobiltelefon des – mittlerweile entlassenen – BVT-„Chefspions“ P. ausgewertet. Ex-Referatsleiter P. ist von Jugend an mit Amon befreundet. Aus den Mobildaten wird klar, dass die enge Verbindung bis in die jüngste Vergangenheit bestanden hat.

„Yes Sir“

Im Zeitraum Mai 2014 bis Februar 2018 konnten die Ermittler insgesamt mehr als 200 SMS bzw. iMessages und mehr als 60 Anrufe zwischen P. und Amon finden. Im Amtsvermerk heißt es dazu: „Aus der aus dem Handy des Dr. P. extrahierten Kommunikation (…) der beiden Genannten kann ein privates, freundschaftliches Verhältnis abgeleitet werden.“ Detail am Rande: Wenn P. eine vorangegangene SMS Amons zustimmend beantwortete, schrieb er gerne: „Yes Sir“.

Die private Verbundenheit ist das eine. Es gibt jedoch möglicherweise einen bedenklichen Aspekt an der Verbindung. Auf den stieß die Staatsanwaltschaft, als sie die Mobildaten mit den Spesenabrechnungen verglich, die P. im BVT gelegt hatte.

Geheimnisvolle Termine

Den Abrechnungen zufolge war P. am Vormittag des 23. Jänner 2015 im Wiener Café Griensteidl. Er ließ sich die Kosten von 19 Euro von seinem Dienstgeber rückerstatten – und zwar als Barauslagen „im Zusammenhang mit kasach. ND”. Gemeint war wohl: „kasachischer Nachrichtendienst“. Die Abrechnung erfolgte unter jener Aktenzahl, unter der im BVT die Ermittlungen gegen den SPÖ-nahen Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky anhängig waren.

Lansky war im Rahmen der Causa um den ehemaligen kasachischen Botschafter Rakhat Alijew bekanntermaßen Spionage vorgeworfen worden. Mittlerweile wurde das Verfahren eingestellt. P., in dessen Referat die Ermittlungen durchgeführt wurden, schrieb auf die Abrechnung, seine Barauslagen seien „Verbindungskosten“ gewesen. Im Amtsvermerk verweisen die Ermittler auf einen Erlass des BMI, demzufolge „Verbindungskosten“ als „Aufwendungen aller Art für Informanten“ definiert seien.

Und noch eine Rechnung

Es ist nicht der einzige Abrechnungsbeleg dieser Art: P. reichte einen weiteren mit derselben Aktenzahl ein – über 23 Euro für eine Rechnung vom 26. Jänner 2015 aus dem Café Raimund. Drei Tage nach dem ersten Termin wäre P. also wieder in dieser Angelegenheit auf geheimer Mission unterwegs gewesen.

Aus SMS-Nachrichten, auf die die Ermittler gestoßen sind, ergibt sich die Möglichkeit, dass sich der „Chefspion“ beim ersten Termin mit einem Kabinettsmitarbeiter aus einem ÖVP-geführten Ministerium getroffen haben könnte. Beim zweiten Treffen könnte Werner Amon einer der Gesprächspartner gewesen sein. Eventuell war noch eine weitere Person dabei, möglicherweise besagter Kabinettsmitarbeiter. P. und Amon bestreiten jedoch, dass es zu einem Dreiertreffen gekommen wäre.

„Kein Zusammenhang mit Causa Lansky“

Der Anwalt von P., Otto Dietrich, teilt auf Anfrage von Addendum mit, dass ein Treffen zwischen seinem Mandanten und dem Kabinettsmitarbeiter nicht auszuschließen sei. Einen Zusammenhang mit den Spionageermittlungen des BVT gegen Lansky weist der Anwalt jedoch zurück. Weder Amon noch der Kabinettsmitarbeiter seien Informanten in der Causa Lansky gewesen. Dass P. umgekehrt dienstliche Informationen zur Causa Lansky weitergegeben habe, sei auszuschließen. Die Verrechnung der Kosten sei „wie auch alle anderen Verrechnungen stets nur mit Genehmigung des Abteilungsleiters“ erfolgt.

„Ganz Wien sprach über Lansky“

Werner Amon teilte auf konkrete Nachfrage, ob am 26. Jänner 2015 im Café Raimund ein Treffen stattgefunden habe, bei dem er und P. anwesend waren, mit, dass er das nicht wisse. Da dies tatsächlich einige Zeit zurückliegt, fragte Addendum den Abgeordneten, ob es jemals Treffen zwischen ihm und P. gegeben habe, bei denen die Causa Lansky Thema war. Amon antwortete: „Es gab Zeiten, da hat die ganze Stadt über Herrn Rechtsanwalt Dr. Lansky gesprochen. Sicher ich auch. Die Zeitungen waren voll mit Artikeln. Daher schließe ich nicht völlig aus, dass er das ein oder andere Mal Thema war.”

Amon betont, er habe dem Untersuchungsausschuss vor der Befragung von P. in öffentlicher Sitzung mitgeteilt, dass er diesem „seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden“ sei. Relevant kann eine solche Nahebeziehung freilich auch bei anderen Befragungen sein.

Treffen zu Lansky nach Ermittlungsende?

P. wurde entlassen, weil im Zuge der Ermittlungen bei ihm zuhause Geheimpapiere gefunden worden waren. Er bestreitet sämtliche Vorwürfe und bekämpft auch die Entlassung. Laut Spesenabrechnung soll P. übrigens noch im September 2016 in einem Lokal in Wien mit einer – bisher unbekannten – Person ein Treffen zum Ermittlungsakt Lansky gehabt haben. Da war das Verfahren bereits ein halbes Jahr eingestellt. Auf Anfrage von Addendum bestreitet Anwalt Dietrich, dass sein Mandant auf eigene Faust weiter ermittelt habe.

Der Gelegenheitsinformant

Mit Verweis auf einen anderen BVT-Akt ließ sich „Chefspion“ P. übrigens Ende 2016 eine Rechnung für ein Frühstück im Hotel Sacher über 80 Euro refundieren – „im Zusammenhang mit einem Treffen mit einem Gelegenheitsinformanten“. Aufgrund der Mobildaten gehen die Ermittler davon aus, dass sich P. mit Werner Amon getroffen hat. Auf anderen Abrechnungen zur selben Aktenzahl ist von einem Gelegenheitsinformanten mit der Bezeichnung „VIATOR“ die Rede. Vielleicht bringen Werner Amon und die anderen Fraktionen im U-Ausschuss ans Licht, um wen es sich dabei handelt.

Addendum Artikelserie BVT: 

Die Einleitung auf SPARTANAT: BVT in Österreich: Wie kaputt war der Geheimdienst? 

Teil 1: Das BVT – eine Fehlkonstruktion?

Teil 2: Österreichischer Agent mit Agenda

Teil 3: Der „Chefspion“, der aus der Partei kam

Teil 4: Agent Gridling – die andere BVT-Affäre

Teil 5: Die Mauer des Schweigens

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