Sechs Monate sind ins Land gezogen, seit Polizei und Staatsanwaltschaft das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ins Visier genommen haben. Unangekündigt und ausgestattet mit einem Durchsuchungsbefehl. So marschierten Exekutivbeamte und Juristen am 28. Februar in die Rennweg-Kaserne im dritten Wiener Bezirk, wo die Verfassungsschützer untergebracht sind. Sechs Büros standen im Fokus, vier Privatwohnungen von Mitarbeitern. ADDENDUM über den Konflikt um den österreichischen Inlandsgeheimdienst.

Was ist seither passiert? Mittlerweile wurden die Hausdurchsuchungen, mit einer Ausnahme, für rechtswidrig erklärt. Nach Angaben der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) werden in der Causa BVT zehn Personen als Beschuldigte bzw. Angezeigte geführt, mehr als 40 Personen wurden einvernommen, sechs Ermittler arbeiten eng mit der Anklagebehörde zusammen.

Der große Skandal wurde bis dato nicht zutage gefördert. Drei von vier Suspendierungen wurden aufgehoben. Die Beamten dürfen also ihrer Arbeit wieder nachgehen, auch wenn die strafrechtlichen Ermittlungen noch nicht beendet sind.

Schwaches Personal, politische Seilschaften

Wer mit Menschen spricht, die detaillierte Einblicke in das Geschehen hinter den Kulissen haben, erhält eine differenzierte Sicht auf die Vorgänge im Verfassungsschutz. Da ist von vielfach minderqualifiziertem Personal und von politischen Seilschaften die Rede. Und davon, dass so manches verbesserungswürdig wäre.

Wie sind derlei Behauptungen zu belegen? Insider machen sie an Beispielen fest.

Da wäre etwa Bernhard P., der ehemalige Leiter der Spionage-Abwehr, der Ende Mai entlassen worden ist. Und nur entlassen werden konnte, weil er Vertragsbediensteter war, kein Beamter wie andere Beschuldigte in der BVT-Affäre. In einer Beschwerde an die Staatsanwaltschaft offenbart der Niederösterreicher, dass er sich als „Bauernopfer“ in der Causa BVT wähnt. Er wird verdächtigt, nordkoreanische Blanko-Pässe an Südkorea weitergegeben und sich Daten, die zu löschen gewesen wären, besorgt zu haben. Der Beschuldigte stellt in Abrede, Widerrechtliches getan zu haben.

Streng Geheimes zwischen Werbeprospekten

Der Mann ist seinen Job los, weil die Polizei bei der Razzia am 28. Februar als geheim eingestufte Dokumente bei ihm zu Hause entdeckt hat. Der Dienstgeber ortet darin eine Verletzung der „Geheimschutzordnung“ und des „Informationssicherheitsgesetzes“.

Der 45-Jährige kontert, er habe immer wieder daheim arbeiten müssen, um alles bewältigen zu können. Außerdem sei er in Pflegeurlaub gewesen, um sich um seine kranken Kinder zu kümmern. Der Staatsanwalt hielt dazu in einem Amtsvermerk vom 28. Februar fest:

„Der Leiter des Referats für Nachrichtendienste und Proliferation hat streng geheime Schriftstücke zwischen Werbeprospekten und Arztbefunden gestapelt.“

„Das ist das erste Mal, dass jemandem der Vorwurf gemacht wird, dass er zu Hause arbeitet“, sagt der Anwalt des Beschuldigten. Und entgegnet, dass es doch wirklich niemanden überraschen dürfe, wenn der Nachrichtendienstchef mit klassifizierten Dokumenten arbeite. Die Festlegung der Geheimhaltungsstufen oblagen nämlich grundsätzlich seinem Mandaten, also dem Referatsleiter.

Unterlagen zu Lansky

Im Büro von Bernhard P. wurden auch Unterlagen sichergestellt, die mit der Causa Lansky in Zusammenhang stehen. Das BVT hatte gegen den SPÖ-nahen Wiener Rechtsanwalt ermittelt, Lansky behauptet, dass vertrauliche Dokumente aus seiner Kanzlei trotz gerichtlicher Anordnung nicht vernichtet worden wären. Im Sicherstellungsprotokoll der laut OLG unrechtmäßigen Hausdurchsuchung bei Referatsleiter Bernhard P. ist festgehalten: „1 x Mappe mit div. Schriftstücken betr. ua LANSKY Beschreibung Mappe weiß ,BMI‘, 1 x Schriftstück m. 4 Seiten betr. LANSKY, 1 x Mappe grün mit div. Unterlagen betr. LANSKY…“

Der Anwalt von Bernhard P. erklärt dazu, es habe bei korrekter rechtlicher Beurteilung niemals eine Löschungs- oder Vernichtungsverpflichtung gegeben.

ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon stellt dem Mann, mit dem er seit vielen Jahren gut bekannt ist, ein untadeliges Zeugnis aus und rüffelt das Innenressort. Im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung sagte der Nationalratsabgeordnete, er halte „die Entlassung des Spionageabwehrchefs für einen einmaligen Vorgang, der international bei den Geheimdiensten für Kopfschütteln sorgt“.

Auch das Profil sieht den Rauswurf kritisch: „Der Ex-Referatsleiter gilt in der internationalen Schlapphut-Community als bestens verdrahtet, seine Entfernung wird die Besorgnis ausländischer Dienste über die Vorgänge in Österreich eher nicht lindern.“

Nur 30 Mitarbeiter im Referat

Nun führt der Rechtsvertreter des entlassenen Referatsleiters ins Treffen, dass sein Klient acht Jahre als Führungskraft eine operative Abteilung leitete, deren Aufgabengebiet von Wirtschafts- und Cyberspionage bis zur Aufdeckung von Sanktionsbrüchen reichte. Addendum-Recherchen im BVT ergaben überdies, dass das Referat Nachrichtendienst angesichts der Fülle an Aufgaben personell keinesfalls üppig besetzt war – nur rund 30 der 300 BVT-Mitarbeiter waren in P.s Abteilung, also im klassischen nachrichtendienstlichen Bereich, aktiv.

Kandidat bei der EU-Wahl

Mehrere BVT-Mitarbeiter, mit denen Addendum gesprochen hat, zeichnen wiederum das Bild eines politischen Verbindungsmannes und zeigen sich wenig verwundert, dass die ÖVP ausrückt, um die einstige Führungskraft zu verteidigen. Es gibt klarerweise auch SPÖ- und FPÖ-affines Personal im BVT, doch hätte P. eben eine besonders enge Verbindung zur Partei gehabt, eine zu enge, wie ehemalige Kollegen meinen. Er, der einst im Parlamentsklub der Volkspartei beschäftigt war, hat sich in jüngeren Jahren nicht nur eifrig in der Jungen ÖVP engagiert, sondern auch zweimal bei der EU-Wahl für die ÖVP kandidiert. Aufgrund seiner Parteipräferenz wurde P., der 2010 zum Frontmann im Nachrichtendienst, eines der zentralen Referate im Verfassungsschutz, aufstieg, hausintern gar als „Politkommissar“ tituliert.

Dem entgegnet der Anwalt von P., dass sich eine Führungskraft intern natürlich nicht nur Freunde mache. Auch der Vorwurf, sein Mandant, ein Doktor der Politikwissenschaften, habe weder eine Polizeiausbildung noch ein Jus-Studium vorzuweisen, ziele ins Leere: International sei es längst Standard, dass gerade im Nachrichtendienst interdisziplinäres Personal rekrutiert werde.

„Cholerisch“ und „unkoordiniert“

Eine Frau, die zwei Jahre im Nachrichtenreferat tätig war, beschrieb ihren ehemaligen Chef bei ihrer Einvernahme als „cholerisch“, „unkoordiniert“ und „labil“, was dieser vehement in Abrede stellt. Ausgerechnet sie, die eine ÖVP-Nähe hatte, als sie im BVT andockte, geht als eine der vier Hauptbelastungszeugen besonders hart mit Bernhard P. ins Gericht. Dabei hatte sie selbst von ihren politischen Verbindungen profitiert. Stimmt also das geflügelte Wort von „Freund, Feind, Parteifreund?“

Die Tochter des ÖVP-Landesrats

Ria-Ursula Peterlik, die Tochter des ehemaligen ÖVP-Landesrats Ernest Gabmann und Ehefrau des Diplomaten Johannes Peterlik, heute Generalsekretär im Außenministerium unter der von der FPÖ nominierten Karin Kneissl, machte ab September 2015 einen Abstecher ins BVT. Die Wirtschaftspsychologin, die mit ihrem Mann zehn Jahre in Vietnam und Thailand gelebt hat, wurde in der Heimat-Rotationsphase des Ehemanns der Asien-Gruppe im Nachrichtendienst-Referat zugeteilt. Zwei Jahre später verließ sie das Haus. Mittlerweile berichtete Peterlik in ihren Aussagen unter anderem darüber, dass ihre Vorgesetzten nicht nur einen mitunter exzessiven Alkoholkonsum pflegten, sondern auch in Nachtlokalen ziemlich offen über geheime Operationen gesprochen hätten. Die Betroffenen bestreiten das allesamt vehement.

Vertragsbedienstete, die beruflich politisch aktiv waren und später ins BVT kamen, gab es in den vergangenen Jahren viele. Einer von ihnen war Stephan Tauschitz.

Der Kärntner ÖVP-Klubchef

Der Kärntner Tauschitz hatte im Zuge der Hypo-Turbulenzen seinen Sessel als VP-Klubobmann räumen müssen. Er war ein Gefolgsmann des gefallenen Kärntner VP-Chefs Josef Martinz, der später im Zuge der Affäre Birnbacher zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Tauschitz war 2004 mit 25 Jahren der jüngste Landtagsmandatar. Drei Jahre später stieg er schon zum Klubchef auf. Im August 2012 war es mit der steilen Polit-Karriere allerdings wieder vorbei. Der damalige neue Parteichef Gabriel Obernosterer tauschte die alte Garde, darunter auch den jungen Tauschitz, aus. Der Fall war aber nicht allzu hart: Tauschitz konnte zumindest bis März 2013 im Landtag bleiben.

Groß war die Verwunderung im BVT, als der Betriebswirt plötzlich in der Polizei-Behörde auftauchte. Auch bei dieser Postenbesetzung stellt sich die Frage, ob das BVT Tauschitz benötigte – oder Tauschitz den Job im BVT. Der Posten war jedenfalls ein Sprungbrett für ihn. Im Vorjahr ergatterte der mittlerweile 40-Jährige einen Top-Job im Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Kärnten. Ohne vorherige Beschäftigung im BVT hätte ihm jegliche Qualifikation für die Funktion des Referatsleiters für Analyse, Auswertung und Prävention gefehlt.

Derartige Besetzungen waren nur möglich, weil der Personalstand im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung regelrecht in die Höhe schnellte. Anfangs arbeiteten im BVT 130 Personen, heute sind es etwa 300, die unter anderem in der Kaserne am Rennweg ihren Dienst versehen.

Noch. Demnächst soll das BVT grundlegend reformiert werden.

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Addendum Artikelserie BVT: 

Die Einleitung auf SPARTANAT: BVT in Österreich: Wie kaputt war der Geheimdienst? 

Teil 1: Das BVT – eine Fehlkonstruktion?

Teil 2: Österreichischer Agent mit Agenda

Teil 3: Der „Chefspion“, der aus der Partei kam

Teil 4: Agent Gridling – die andere BVT-Affäre

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