Viel wurde geschrieben über Tausende junge Menschen aus Europa und aller Welt, die sich dem Dschihad der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Nahen Osten angeschlossen haben. Weit weniger hat man von jenen Hunderten gehört, die sich auf den Weg gemacht haben, um (meist mit den Kurden) gegen den IS zu kämpfen. Emile Ghessen hat sie jahrelang mit der Kamera begleitet. Am 11. Dezember 2017 wird in London seine Dokumentation „Robin Hood Complex“ präsentiert. Wir haben mit Emile über die Arbeit an dem Film und seine Erfahrungen gesprochen.

SPARTANAT: Emile, Deine selbstgedrehte Dokumentation „Robin Hood Complex“ wird am 11. Dezember in London Premiere haben. Was ist die Geschichte hinter „Robin Hood Complex“?

Emile Ghessen: Ich habe zwölf Jahre bei den britischen Royal Marines gedient und mein Vater stammt aus Syrien. Als der IS sich im Nahen Osten ausbreitete, war ich um die Sicherheit meiner Familie besorgt. In den News kamen Berichte von Männern und Frauen aus dem Westen, die sich ISIS anschlossen, aber ich bin einem Mann begegnet, der in den Irak und nach Syrien gegangen ist, um dort als freiwilliger Kämpfer gegen den IS zu kämpfen. Zu jener Zeit habe ich in der Sicherheitsbranche gearbeitet. Ich beschloss, meine Waffe niederzulegen und zur Kamera zu greifen, um diesem Freiwilligen zu folgen und um letztendlich besser zu verstehen, was einen Mann dazu bringt, den Krieg der anderen zu kämpfen.

SPARTANAT: Du warst selbst Soldat, du bist als Journalist nach Syrien und in den Irak gegangen. Bist Du Robin Hood als Journalist? 

Emile Ghessen: Die Geschichte von Robin Hood erzählt, dass Robin eine Person ist, die von den Reichen stiehlt, um den Armen zu geben. Wenn man es auflöst: obwohl er versucht, Gutes zu tun, ist er ein Verbrecher, da seine Handlungen zwar vielleicht edel sind, aber sie sind letztendlich immer noch kriminell.

Ich würde nicht sagen, dass ich ein Robin Hood-Charakter wäre, aber es gibt wenig Zweifel, dass die Freiwilligen so sind. Dass sie die meistgefürchtesten Terroristen der Welt bekämpfen, ist edel von ihnen, aber man kann darüber diskutieren, ob das, was sie tun, zumindest für einige falsch ist.

„Diese Freiwilligen sind alle unbezahlt. Sie haben ihre eigenen Gründe, in den Nahen Osten zu reisen, um dort zu kämpfen.“

SPARTANAT: Nicht viele Leute haben die Freiwilligen im Irak gesehen – wir von SPARTANAT konnte 2015 als erste westliche Journalisten uns mit einer Gruppe nahe Kirkuk treffen: HIER der Report aus dem Irak. Wie viele sind es tatsächlich? Wofür kämpfen sie und welchen Truppen habe sie sich angeschlossen?

Emile Ghessen: Diese Freiwilligen sind alle unbezahlt. Sie haben ihre eigenen Gründe, in den Nahen Osten zu reisen, um dort zu kämpfen. Sie schließen sich den kurdischen Streitkräften entweder im Irak, den Peshmerga, oder der YPG (Volksschutz-Einheit) in Syrien an. Sie kontaktieren diese Gruppen über Facebook und senden ihnen Informationen darüber, wer sie sind und warum sie kämpfen wollen. Wenn diese sie akzeptieren, bekommen sie Einzelheiten, wie sie reisen sollen und einen Kontakt, den sie treffen müssen, wenn sie ankommen.

Es ist aus offensichtlichen Gründen sehr geheimnisumrankt. Seit 2014 sind es rund 300 Männer und Frauen, die zu den kurdischen Streitkräften gereist sind. Es gibt noch etwa 40 in der Region, die mit anderen lokalen Kräften arbeiten. Wenn sie entweder der YPG oder der Peschmerga beitreten, werden sie einer von ihnen.

SPARTANAT: Welche Typen an Freiwilligen hast Du vor Ort gefunden? Nicht jeder ist Robin Hood … 

Emile Ghessen: Wenn ich einen Freiwilligen vor Ort frage, warum er hier gegen ISIS kämpft, bekommen ich gesagt, dass es um die Menschheit geht. Dies ist die Standardantwort, wenn sie gefragt werden. Je mehr Männer ich getroffen habe, desto besser konnte ich ihre wahren Gründe als Freiwillige verstehen. Über die letzten drei Jahre habe ich solche Männer sehr gut kennengelernt und es gibt, denke ich, unterschiedliche Gründe, wegen denen die meisten kommen, um zu kämpfen.

Da sind einerseits ehemalige Militärs, die nie im Militär aktiv kämpfen konnten. Also benutzen sie diesen Krieg, um sich zu beweisen. Dann gibt es einsame Männer – im Allgemeinen ehemalige Militärs, die die Kameradschaft, die sie im Militär erleben durften, vermissen oder die arbeitslos sind, manchmal unter PTSD leiden. Sie sehen ihren Einsatz als Chance, wieder Teil einer Gruppe zu sein.

Dann gibt es den Freiwillige, der nach Ruhm hungrig ist. Das sind Männer, die berühmt werden wollen, weil sie dann ins Fernsehen oder ins Radio kommen oder sie wollen ein Buch schreiben. Sie wollen anderen beweisen, dass sie jemand sind. Der Abenteuer-Freiwillige – das sind jene Männer, die für ein Abenteuer in die Region gereist sind. Sie kümmern sich nicht wirklich um die Sache, sie wollen nur den Nervenkitzel, einfach mal etwas anderes machen. Diese Männer bleiben in der Regel nicht zu lange dort.

Letztendlich: der politische Freiwillige – diese Männer sind unzufrieden mit der politischen Situation in ihrem Land und fühlen, dass ihre Regierungen im Krieg gegen den IS nicht ihren Beitrag leisten, also greifen sie selbst zu den Waffen.

SPARTANAT: Wie hast Du das Projekt finanziert? Wir konntest Du so lange an dem Film arbeiten? 

Emile Ghessen: Ich habe das ganze Projekt selbst finanziert und bin fünfmal hin und her gereist. Als der Angriff auf Mosul angekündigt wurde, habe ich einen Gofundme Account bei Facebook eingerichtet und es geschafft, das Geld für meine ersten Flüge zu bekommen. Obendrein musste ich Geld selbst beschaffen, indem ich ganz regulär Arbeiten ging, wenn ich wieder zu Hause war, um so wieder genug Geld zu haben für meine Rückkehr in den Nahen Osten. … Oder um Kreditkarten verweden zu können. Lass es mich so sagen: Ich habe massive Schulden von diesem Projekt, aber es war eben Leidenschaft und Liebe.

Wenn ich draußen bin, reise ich alleine, unbewaffnet und leicht ausgerüstet. Ich trage einen Schlafsack, hänge mich bei lokalen Gruppen an und lebe mit ihnen. Ich esse ihr Essen, um so ein Teil von ihnen zu sein, auch um meine Kosten niedrig zu halten. Ich finde odendrein, dass dies der beste Weg ist, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

SPARTANAT: Der Islamische Staat wird von der Landkarte verschwinden. Wie wird die Geschichte Deiner Meinung nach weitergehen?

Emile Ghessen: Der Islamische Staat wird auf dem Schlachtfeld militärisch besiegt. Als Ideologie sind sie nicht geschlagen. Die ISIS-Kämpfer ziehen sich in den Schatten zurück und gruppieren sich um, um später weiter zu kämpfen. Wir wissen nicht, wie erfolgreich die internationalen Freiwilligbewegung zur Zerstörung von ISIS gewesen ist, aber es gibt keinen Zweifel daran, dass jeder Mann seinen Teil in diesem Krieg beigetragen hat. Der Terrorismus ist bei weitem gescheitert, aber während wir den IS im Irak und in Syrien besiegt sehen, könnte es zu einem Anstieg der Terroranschläge in Europa und den USA kommen.

SPARTANAT: Wie fühlst Du Dich jetzt, wenn „Robin Hood Complex“ fertig ist und in die Welt hinaus geht?

Emile Ghessen: Dieses Projekt hat lange gedauert. Ich bin froh, dass es endlich vorbei ist und ich wieder die Welt sehen kann. Ich denke, die Geschichte dieser Freiwilligen ist eine wichtige Geschichte. Es ist interessant, ihre Motive zu verstehen, warum Männer in eine Region reisen, um im Krieg anderer zu den Waffen zu greifen. Ich bin zufrieden meiner Dokumentation, die als wahre Darstellung das Leben dieser Männer zeigt.

Die PRÄSENTATION von „Robin Hood Complex“ findet am 11. Dezember ab 18.30 in London statt (siehe oben). HIER geht es zur Veranstaltungsseite. Der ganze Film kann ab 18. Dezember 2017 auch online auf VIMEO angeschaut werden. HIER geht es zum Film.