Selbstverteidigung muss man lernen, lange bevor man es braucht. Und selbst dann gibt es bei keine Garantie, dass man eine Auseinandersetzung gewinnt. Wir haben heute Ingo Schmied im Interview, der Nahkampftrainer und das philippinische Kampfsystem Pekiti Tirsia Kali trainiert. Mit TACTICAL TRAINING SCHMIED bietet er aber obendrein die volle Palette taktischer Weiterbildung bis hin zum Deeskalitionstraining an. Gerade vor dem Hintergrund des laufenden Schwerpunktes „Gray Man Theory“ – hier der Artikel dazu – interessiert uns besonders, wie man gewinnen kann, indem man den Kampf vermeidet.

SPARTANAT:  Ingo, du bist Nahkampftrainer. Was ist dein praktischer Hintergrund und was sind deine Erfahrungen?

Ich habe in meiner Zeit beim Bundesheer Erfahrungen in unterschiedlichen Nahkampfsystemen gesammelt und bin vor einigen Jahren auf das philippinische Kampfsystem Pekiti Tirsia Kali gestoßen. Dieses trainiere ich seit dieser Zeit sehr intensiv. Dabei vertrete ich in Tirol die Pekiti Trisia Tactical Assosiation von Chairman Tuhon Jared Wihongi.

SPARTANAT: In den letzten zwei Jahren gab es ein großes Bedürfnis in der Bevölkerung nach Selbstschutz. Wie schätzt du dieses Wollen ein?

Das subjektive Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft hat sich bestimmt ganz wesentlich verändert. Die Menschen benötigen Sicherheit in ihrem Alltag, sowohl in beruflicher als auch in privater Sicht. Durch das vermehrte Auftreten von Gewalt und Gefahrensituationen in der Öffentlichkeit, welche vor allem durch die unterschiedlichsten Medien verbreitet werden, machen sich Menschen mehr Gedanken um ihre Sicherheit.

„Die besten Hilfsmittel nützen nicht viel, wenn die Handhabung nicht automatisiert und der Wille zum Überstehen einer gefährlichen Situation nicht sehr stark ausgeprägt ist.“

Nach den Vorfällen um den Jahreswechsel 2015 auf 2016 in Köln, bei denen viele Frauen Opfer von sexueller Gewalt wurden, wurde ein riesiger Marketing-Hype ausgelöst und überall werden Selbstverteidigungsmittel und -kurse angeboten. Inzwischen führen sogar Handelsketten, die noch nie solche Artikel im Sortiment hatten, Verteidigungsmittel aller Art, in Zeitschriften und Zeitungen werden regelmäßig Artikel über dieses Metier veröffentlicht. Verkäufer und Journalisten geben Sicherheitstipps und Ratschläge was zu tun ist. Dabei wird allerdings teilweise gefährliches Halbwissen verbreitet.

Und die Menschen erhalten so nur sehr spärliche Informationen.

In der Theorie wird ihnen Einiges erklärt, aber in der Praxis sieht es meist anders aus. Die besten Hilfsmittel nützen nicht viel, wenn die Handhabung nicht automatisiert und der Wille zum Überstehen einer gefährlichen Situation nicht sehr stark ausgeprägt ist.SPARTANAT: Du lehrst nicht nur Selbstverteidigung, sondern beachtest dabei auch Gewaltprävention und Deeskalation. Warum ist das so wichtig?

Jeder begonnene Kampf kann verloren werden! Leider glauben immer noch zu viele Menschen, dass man in wenigen Stunden Ausbildung lernen kann, sich selbst zu verteidigen. Das ist allerdings nicht möglich. Das ist auch der Grund, warum ich in meinen Kursen den Schwerpunkt auf Prävention lege. Dabei vermittle ich Möglichkeiten und Methoden, die man jederzeit in seinen Alltag integrieren und damit für mehr Aufmerksamkeit und eine verbesserte Wahrnehmung sorgen kann.

„Jeder begonnene Kampf kann verloren werden! Das alleinige Erlernen von Techniken reicht nicht aus!“

Das alleinige Erlernen von Techniken reicht nicht aus! Für jede Bewegung sind tausende von Wiederholungen erforderlich, um diese zu automatisieren. Und sogar dann gibt es noch keine Garantie dafür, dass es ausreicht, um sich zu schützen. Vor allem ist jeder vermiedene Kampf ein gewonnener.

In jeder Gewaltsituation kommen viele Faktoren zusammen, speziell wenn es um Gewalt an Frauen geht: körperliche Voraussetzungen, Umfeldbedingungen, der Faktor Zeit, eigene Erfahrungen, die Psyche und nicht zuletzt der Stress, wenn man in eine gefährliche Situation kommt.SPARTANAT: Egal, was man tut, man kann zum Opfer werden. Aber gibt es Strategien, um unscheinbar zu sein und sich so um einen Konflikt zu „drücken“?

Zu drücken ist gut. Wir sollten eventuell einige Kleinigkeiten in unseren Alltag integrieren, die wir als Kinder gelernt haben. Ich kann mich noch daran erinnern, wie mir meine Eltern beigebracht haben, mit verschiedenen Gegenständen vorsichtig zu sein. „Messer, Gabel, Schere, Feuer, Licht…“ Oder Sicherheit im Straßenverkehr. Wie viele Erwachsene und auch schon Kinder und Jugendliche bewegen sich im Alltag unaufmerksam? Kopfhörer, Handy und Co lenken uns ab und sorgen für unsere Unaufmerksamkeit.

In meinen Kursen stelle ich immer wieder folgende Frage an die TeilnehmerInnen: „Warum verletzen sich Menschen? Wie kommt es zu Unfällen? Warum schneiden wir uns mit einem Messer oder warum stoßen wir uns in unserer Wohnung den Fuß an einen Kasten?“ – „AUFMERKSAMKEIT!!!“

Tiere sind uns da um Vieles voraus. Sie achten auf ihre Sinne und nehmen ihre Umgebung wahr! Wir als Menschen hingegen verlassen uns zu sehr auf Technik und alle möglichen technischen Hilfsmittel.

Wir sind mittlerweile schon abhängig davon. Ich finde es einen Irrsinn, dass es Überlegungen gibt, Ampelzeichen für Fußgänger auf den Boden zu projizieren, damit Fußgänger noch mehr auf Ihr Display schauen können, anstatt auf ihre Umgebung.

Ich muss nichts Neues erfinden, um für meine eigene Sicherheit zu sorgen. Ich muss nur meine Umgebung wahrnehmen und dazu auf mein Bauchgefühl hören. 100%ige Sicherheit wird es nie geben, aber ich kann die Wahrscheinlichkeit ein Opfer zu werden durch Aufmerksamkeit minimieren. Täter sind nie unsichtbar, sie befinden sich nur im Nebel unserer Wahrnehmung!

SPARTANAT: Wie weit kann man den Punkt hinausschieben, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten?

Sobald ich ein ungutes Gefühl habe, versuche ich, die Situation zu meiden und versuche eine andere Örtlichkeit aufzusuchen oder Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn es allerdings keinen Ausweg aus einer körperlichen Konfrontation mehr gibt, muss ich entschlossen, flexibel und mit aller Härte handeln. Immerhin geht es um mein Leben und um nichts Anderes. Es ist eines unserer Menschenrechte, unsere Unversehrtheit, unser eigenes Leben und das unserer Nächsten zu schützen.SPARTANAT: Gibt es eine generelle Empfehlung, wie der Einzelne sich bewusst und verantwortungsvoll auf solche Eskalationen vorbereiten kann?

Schult eure Wahrnehmung und eure Aufmerksamkeit. Hört auf euer Bauchgefühl und überlegt euch einen Plan für den Notfall. Nur darauf zu hoffen, dass einem nie so etwas widerfährt, ist kein Plan! Wir machen uns Fluchtpläne für einen Brand, wir machen Erste-Hilfe-Kurse für einen Unfall und wir machen uns keinen Plan für eine körperliche Konfrontation???

„Lieber 1.000 Mal im Leben ein Feigling als ein Leben lang traumatisiert!“

„Bleibt wachsam und beobachtet euer Umfeld!“

INGO SCHMIED, 36, Berufssoldat beim österreichischen Bundesheer mit Auslandseinsatzerfahrung. Ausgebildeter Nahkampftrainer, Schießausbilder, Kampfmittelabwehrtrainer und Szenarientrainer.

Autorisierter Gruppenleiter der Pekiti Trisia Tactical Assosioation in Tirol.

Zusätzlich bietet er Seminare, Workshops und Ausbildungen für praktische Schießausbildung, Selbstverteidigungskurse und Trainings, Handhabung mit dem Abwehrspray, Sicherheitstrainings und spezielle Behördentrainings unter Tactical Training Schmied.TACTICAL TRAINING SCHMIED auf Facebook: www.facebook.com/Tactical-Training-Schmied

TEAM PEKITI im Insternet: http://teampekiti.com/team-pekiti