Die Bilder in diesem Artikel haben zwei Länder entzweit. Sie stammen von der britischen Polizei und dokumentieren den Anschlag von Manchester. Dann wurden sie vom britischen Geheimdienst an das amerikanische Gegenstück weiter gegeben. Nichts geht über einen guten Informationsfluss, der da aber nicht stoppte, sondern zur New York Times weiterging. Dass die Amis „nicht ganz dicht“ sind und die Polizeibilder an die Öffentlichkeit gelangt sind, hat die Briten sehr sauer gemacht.

Wir nutzen sie, um den Anschlag von Manchester zu erklären. Die Medien bringen immer weniger von solchen Anschlägen, weil sie ja inzwischen nicht mehr unüblich sind. Politiker sprechen davon, dass wir „damit leben müssen“. Der Rest sind dann wenige Informationen über Täter, kaum mehr über ihre Opfer, so gut wie nichts über die Struktur dahinter. Wir zeigen euch, womit wir „leben müssen“. Der Massenmörder von Manchester hat sich bewusst und mit Absicht an den Ort des Konzerts begeben. Er war modern gekleidet, er wird mit seinem Karrimor Rucksack – die ersten Bilder oben zeigen die Überreste –niemandem aufgefallen sein. Im Rucksack allerdings befand sich eine metallene Schachtel, die als Bombe geladen war. In der linken Hand des Mörders befand sich der Zünder. Ein kleines Teil, unauffällig zu halten, an dem der Betrachter hier auch noch eine Platine erkennen kann. Es war eine bewusste Entscheidung des Täters diesen Ort aufzusuchen und sich in der Menschenmenge mit Kindern in die Luft zu sprengen. Er wollte die maximale Wirkung, er hat den Zünder wohl selbst ausgelöst. Ob er gebetet hat, was seine letzten Gedanken waren: wir wissen es nicht. Er war der erste, der gestorben ist. Der Handzünder muss theoretisch nicht die alleinige Möglichkeit zur Auslösung der Detonation sein. Es gibt durchaus die Variante, dass ein zweiter, entfernt stehender Mittäter ebenfalls die technische Möglichkeit zum Auslösen der Bombe hätte. Wir können das in dem Fall nicht beurteilen, weil wir nicht die Ergebnisse der weiteren Spurensuche der Polizei kennen, ob dabei ein zweiter Zündmechanismus gefunden wurde. Vermutlich nicht.

Selbstmordattentäter sind keine Mangelware

Ein Zweittäter ist bei vielen Attentaten, wie sie zum Beispiel im Irak oder in Syrien durchgeführt werden, nicht unwahrscheinlich, weil er im Gegensatz zum „gestressten“ Attentäter den Überblick bewahrt. Er könnte also die Bombe im idealen Moment – wenn viele Opfer in der Nähe des Bombenträgers sind – zünden. Oder auch dann, wenn den Selbstmordattentäter im entscheidenden Moment der Mut verlässt … (Wobei die recht entschlossen und willig zu sein scheinen: im Kampf um die irakische Stadt Mosul hat der IS alleine in den letzten Monaten 850 Selbstmordattentäter in allen Varianten – umgeschnallte Bombe bis Fahrzeugbombe – „verfeuert“.)Die Metallkassette im Karrimor Rucksack war dicht gepackt. Beim verwendeten Sprengstoff handelt es sich um TATP, die „Mutter Satans“ in einschlägigen Kreisen genannt. Ein recht kräftiges Selbstelaborat mit Wasserstoffperoxyd u.a. TATP – HIER ein Artikel in der „Welt“ dazu – ist der Grund, warum ihr am Flughafen nur mehr eingeschränkt Flüssigkeiten mitnehmen dürft. Der Sprengstoff wurde auch bei den letzten Anschlägen in Brüssel und Paris verwendet. Sprengstoff mag schlimm sein, verheerend wird das Ganze durch die Packung aus dem Baumarkt, die um ihn herum gefüllt wurde: Muttern (o.), Bolzen und Schrauben (u.). Sie machen das Ganze zu einer Splitterbombe auf zwei Beinen. Die Heimwerkzutaten wirken wie Schrapnells aus einer Granate, die möglichst viele Opfer im Umfeld suchen. Wer ganz direkt beim Attentäter steht, wird durch die Sprengladung zerrissen und stirbt sofort. Im Umfeld von circa drei Metern ist der Explosionsdruck allein so groß, um Menschen per Schädel-Hirn-Trauma zu töten.

Die Technik des Todes

In drei bis fünf Meter Entfernung wird die Wucht der Explosion die Opfer bewusstlos schlagen. Gleichzeitig zerreißt sie die meisten Alveolen in der Lunge, die Schleimhäute in der Nase, das Trommelfell und auch die Eingeweide. Wenn diese Opfer aus ihrer Bewusstlosigkeit wieder aufwachen, was nicht unwahrscheinlich ist, werden sie aus allen Körperöffnungen bluten. Und sie ertrinken an ihrem eigenen Blut, das in den Lungen austritt. Wenn die Bombe mit Nägeln gespiekt ist, können theoretisch auch noch in einigen hundert Metern weitere Menschen getötet werden. Der Anschlag von Manchester hat 22 Tote und über 100 Verletzte gefordert. In einem überfüllten Raum ist es unwahrscheinlich, dass jenseits von 50 Meter noch mehr Menschen sterben, weil die, die im Radius von fünf und mehr Metern um den Attentäter stehen, die volle Ladung an Schrapnells abbekommen. Die Wirkung der Bombe besteht ja nicht nur im Töten, sondern auch darin eine mehrfache Zahl an unterschiedlich stark Verwundeten zu hinterlassen.

Die Grafik oben zeigt, dass die meisten Opfer kreisförmig um den Massenmörder herum fallen. Der Kreis hat eine Lücke, sie entsteht dadurch, dass der Körper des Attentäters die Bombe am Rücken trägt und so abdeckt. Er stirbt und wird in dem Moment zerrissen, wenn er den Zünder drückt. Die Masse seines Körpers fliegt aus dem Kreis der Opfer und landet hier auf der Straße (das dunkelrote Viereck). Abgerissene Gliedmaßen, insbesonders Knochensplitter, können zu Verletzungen bei Umstehen führen. Das Bild nach dem Attentat ist ein verheerendes. Tote und Verletzte liegen herum, Blut überall. Chaos, Angst, Flüchtende … Ersthelfer versuchen Leben zu retten, Rettung und erste Sicherheitskräfte treffen ein. Immer die bange Frage, ob nicht vielleicht ein zweiter Schlag die neue Menschenansammlung – Opfer und Hilfskräfte – treffen soll, also ob ein zweiter Attentäter unterwegs ist.

Elf weitere Menschen wurden während der Ermittlungen in den Tagen nach dem Attentat festgenommen. Die Polizei will insbesonders wissen, wo die Bombe gebaut wurde (inzwischen wurde diese Location gefunden). Bei einer entwickelteren Struktur geht man davon aus, dass die Zelle, die die Bombe baut, nicht ident ist mit jener, die den Attentäter stellt. Hier scheint das nicht der Fall gewesen zu sein. Der Attentäter hat für den Bau der Bombe rund 75 Euro ausgegeben (Rucksack im Sonderangebot inklusive). Er hat sich bereits ab 2012 radikalisiert, hatte scheinbar direkte Kontakte in Libyen, die Familie her stammt (siehe Artikellink am Ende der Geschichte).

Die Medienarbeit gehört zum Anschlag

Das Attentat ist so kein Kurzschluss oder eine chaotische Handlung, sondern gesetzter Schlusspunkt einer langen Planung, die ja die Beschaffung des Sprengstoffs, den Bau der Bombe, die Festlegung und das Auskundschaften des Ziels umfasst. Es kann sein, dass auch die Mediaplanung mitgedacht wird, d.h. dass es vorab ein Abschiedsvideo des Attentäters gibt, das in der „Medienzentrale“ platziert wird. Vielleicht wird auch während des Attentates von Komplizen mitgefilmt. Die Bekennung wird ohne Stress und relativ formal über bestimmte Kanäle abgegeben – beim Islamischen Staat sind das die Medienkanäle seiner Presseagentur Amaq (Bild unten: die Bekennung). Wenn es ein relevantes Ereignis ist, gerne auch mehrsprachig. Propagandavideos in unterschiedlicher Länge und meist guter Qualität werden nachgereicht. Daesch hat zumindest eine professionelle Zentralagentur, dazu weitere lokale Agenturen in den eigenen Provinzen (Wilayats), die lokal arbeiten und auch die Zentrale mit Material füttern. Medienarbeit ist Krieg. Entgegen der gerne geäußerten Meinung, dass sich der IS zu allem und jedem bekennt, muss man festhalten, dass Daesch sehr genau damit ist, Verantwortung zu übernehmen: seine Leute sind seine Leute, seine „Leistungen“ seine „Leistungen“. Das wird natürlich diffus, wenn die Anstiftungen zu alltäglichen Messer- und Autoattentaten erfolgreich zunehmen.

Bei dem Anschlag von Manchester scheint es sich aber durchaus um die Kommandoebene zu handeln. Der junge Libyer war kein „Lone Wolf“, die übrigens meisten auch nicht ganz so einsam sind, wie der Name suggeriert. Der verhaftete Bruder bekannte sich zum IS. Dadurch, dass Daesch eine sehr große, parastaatliche Struktur ist, arbeitet er recht zielstrebig und mit geheimdienstähnlichen Methoden.

So können Attentäter von einem „Leitoffizier“ betreut werden, der zum Beispiel in Syrien oder im Irak sitzt, gute Tipps und Anleitungen gibt, ihn moralisch betreut und – und „seinen“ Bomber bis in die letzten Minuten per Smartphone begleitet – so geschehen bei den Fällen in Ansbach, Würzburg und vielleicht auch Berlin. Solche „geleiteten Anschläge“ zeigen, dass die Gefahr nicht nur vom singulären Attentäter ausgeht, sondern von einer planenden und organisierenden Struktur, die den Terror als gezielte Waffe in einem gewollten Religionskrieg globalen Maßstabs einsetzt.

ARTIKEL im Guardian zur Person des Attentäters.