Wir leben in einer rasch sich wandelnden Welt. Entgegen der Annahme, dass das vor allem Herausforderungen für die Politik seien, was sich da tut, sind es vor allem zuerst Sicherheitsinstitutionen – von Geheimdiensten über Exekutive bis hin zu Personenschützern – die mit den Auswirkungen des Wandels konfrontiert sind. Dass die Arbeit gerade mehr wird, ist längst eine Binsenweisheit. Dr. Gert R. Polli – der Vater des österreichischen Inlandsgeheimdienstes und heute Leiter der weltweit agierenden Sicherheitsfirma polli-IPS (Intelligence & Public Safety) – wird 2017 als Schirmherr und Referent bei der Personenschutzakademie PROTECT and PREVENT auftreten. Ulf Wanderer sprach mit Polli über seine Karriere als Nachrichtendienstler, das wandelnde Verhältnis von Personenschutz und Diensten und die Zukunft der Geheimdienste.

SPARTANAT: Bevor wir beginnen möchten wir Ihnen danken, dass Sie sich unseren Fragen stellen. Dr. Gert R. Polli, dieser Name sollte vielen Lesern bekannt sein. Für alle anderen würden wir Sie bitten, sich kurz vorzustellen.

Gert R. Polli: Als Jahrgang 1960 habe ich die meiste Zeit meines Lebens für Nachrichtendienst gearbeitet. Meine nachrichtendienstliche Kariere begann im österreichischen Auslandsnachrichtendienst, dem Heeresnachrichtenamt (HNaA), in den 1980er Jahren. 2001 war ich mit der Leitung der österreichischen Staatspolizei im Innenministerium betraut, die ich als Projektleiter schließlich in eine zeitgemäße Struktur überleitete. Das Ergebnis war das heute Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Dabei handelt es sich um eine Behörde, die zwar Exekutive, also im wesentlichen Polizei ist, aber ebenso als Nachrichtendienst arbeitet. Von 2002 bis Anfang 2008 war ich mit der Leitung dieser Behörde betraut. Danach war ich in der Privatwirtschaft, u.a. als Leiter der weltweiten Konzernsicherheit der Siemens AG, bis ich mich 2012 mit einem sehr speziellen Unternehmen selbstständig machte. Die Firma bietet Lösungen für Unternehmen als auch Privatpersonen an, die sich mit nicht alltäglichen Herausforderungen konfrontiert sehen. Zu den Kunden zählen große Konzerne ebenso, wie Regierungen NGOs und Privatpersonen. Wir sind jedoch weder eine Detektei noch ein privater Geheimdienst. Wir kümmern uns jedoch um die Probleme anderer. Es sind die speziellen Probleme, um die wir uns kümmern, die uns von anderen unterscheiden.

SPARTANAT: Welche Station in Ihrem Berufsleben hat Sie bisher am meisten gefordert?

Gert R. Polli: Mit Sicherheit meine Zeit als Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Österreich. Es war eine besondere Zeit. Ich wechselte im September 2001 ins Innenministerium, elf Tage später waren wir mit den Terroranschlägen 09/11 in New York konfrontiert. Ab da an änderte sich die tägliche Arbeit der Behörde von Grund auf. Rückblickend, war das die schwierigste Zeit meiner Arbeit als Behördenleiter. Die Organisation, der ich vorstand, war mitten in einem Reorganisationsprozess. Ab diesem Zeitpunkt, wurde die Terrorismusbekämpfung zum absoluten Schwerpunkt der Organisation. Auch die Herausforderung im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit in diesem Thema war enorm. Der Schriftverkehr mit den Partnerorganisationen hatte sich vervielfältigt und eine organisationsinterne Expertise zum Thema islamischer Terrorismus war erst im Entstehen. Das Thema Terrorismusbekämfung war fortan das zentrale Thema der Organisation und ist es noch heute.

SPARTANAT: War für Sie der Übergang vom militärischen Dienst zum Dienstleister für die Privatwirtschaft nahtlos oder eine große Umstellung?

Gert R. Polli: Für mich als gelernter Berufsoffizier war die Arbeit in einer zivilen Behörde wie dem BVT im Innenministerium eine große Umstellung. Zwischen der Art, wie die Streitkräfte auf Probleme zugehen und der Art, wie man im Innenministerium an die anstehenden Herausforderungen herangeht gibt es große Unterschiede. Einer der Gründe liegt darin, dass das Innenministerium Strafverfolgungsbehörde ist und daher mit der Staatsanwaltschaft eng kooperiert. Das ist beim Militär nicht der Fall. Was mir aber auch zu schaffen machte, sind die großen Mentalitätsunterschiede zwischen Soldaten und Polizisten, ganz allgemein gesprochen.

„Das Berufsbild für beide Gruppe hat sich in den letzten Jahren stark verändert. … Mit der terroristischen Gefährdungslage und der allgemein gestiegenen Kriminalität sind die Herausforderungen an die Qualität der zivilen Personenschützer gestiegen.“

SPARTANAT: Denken Sie, dass aktive Personenschützer von aktiven Militärs lernen können und umgekehrt? Wo sehen Sie die Schnittmengen?

Gert R. Polli: Das Berufsbild für beide Gruppe hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Rechtliche gesehen steht der Personenschutz der Militärs im Inland auf wackeligen Beinen und daher kommt es immer wieder zu Reibungspunkten mit der zivilen Behörde. Für den militärischen Personenschutz sind die Einsätze des Bundesheeres im Ausland eine stätige Herausforderung. Auch für den zivilen Personenschützer im Inland hat sich das Umfeld der letzten Jahre stetig geändert. Mit der terroristischen Gefährdungslage und der allgemein gestiegenen Kriminalität sind die Herausforderungen an die Qualität der zivilen Personenschützer gestiegen. Schnittmengen zwischen zivil und militärisch sehe ich eine ganze Menge. Das beginnt schon damit, dass das Österreichische Bundesheer seit einem halben Jahr Botschaftsbewachungen übernommen hat. Das war noch vor Jahren undenkbar. Natürlich handelt es sich dabei um keinen klassischen Personenschutz, sondern um den Schutz kritischer Infrastruktur. Das ist aber ein gutes Beispiel wie sehr sich die beiden Bereiche, zivil und militärischer Personen- und Objektschutz aufeinander zubewegen. Ja, ich meine sehr wohl, dass beide Bereiche voneinander lernen müssen. Ich bin mir sicher, dass wir künftig eine viel stärkere Verschränkung von zivilen und militärischen Personenschutz sehen werden. Sicherheit wird auch künftig ein zentrales Thema bleiben. Staatliche Sicherheitsstrukturen sind mehr und mehr gefordert und es drohen personelle Engpässe und andere Kapazitätsprobleme. Ich gehe davon aus, dass diese Sicherheitsschere künftig vermehrt durch Private Kapazitäten geschlossen werden müssen.SPARTANAT: Wie würden Sie aus beruflicher Sicher das Verhältnis von erlerntem Wissen zu eigenen Erfahrungen gewichten? 

Gert R. Polli: Man lernt nie aus. Wichtig allerdings ist, dass man für sich selbst anerkennt, jeden Tag etwas dazulernen zu können. Der deutsche Altbundeskanzler Kohl wurde einmal von der Presse mit den Worten gestellt: Aber Herr Bundeskanzler, vor einer Woche haben Sie noch eine ganz andere Position vertreten. Worauf Helmut Kohl promt antwortete: Es gibt nichts, was mich darin hindert, jeden Tag klüger zu werden. Grundsätzlich allerdings gilt, dass Ausbildung und Wissen in Erfahrung resultiert. Ein hoher Ausbildungsstand, gemeinsam mit einer langjährigen Erfahrung ist vor allem im Personenschutz ein unverzichtbares Qualitätskriterium für den Auftraggeber.

„ Wir gehen auf sehr schwierige Zeit zu, die auch auf die tägliche Arbeit des Personenschützers Einfluss hat. …  Alle diese Entwicklungen nehmen heute schon Einfluss auf die taktische Durchführung des Personenschutzes.“

SPARTANAT: Denken Sie, dass die aktuelle politische Situation in Europa Einfluss auf die Arbeit im PS-Schutz hat? 

Gert R. Polli: Ja natürlich. Wir gehen auf sehr schwierige Zeit zu, die auch auf die tägliche Arbeit des Personenschützers Einfluss hat. Die Europäische Union befindet sich derzeit in einer Phase der Schwäche. Ob der Euro auch tatsächlich überlebt, das werden die kommenden Jahre zeigen. Die europäische Bevölkerung ist verunsichert. Eine neue Form der Armut greift Platz, wenn man genau hinschaut. Die Wahrscheinlichkeit von sozialen Unruhen hat zugenommen. Europe ist auch politisch sehr stark polarisiert. Wir erleben eine Zunahme von rechts- und linkspolulistischen Bewegungen entlang einer sozialen und auch intellektuellen Bruchlinie. Alle diese Entwicklungen nehmen heute schon Einfluss auf die taktische Durchführung des Personenschutzes.

SPARTANAT: Wenn ja, welche Maßnahmen, Veränderungen sollten Ihrer Meinung nach primär vorgenommen werden?

Gert R. Polli: Ich denke, dass der Beruf oder die Aufgabe Personenschutz künftig komplexer sein wird als dies heute der Fall ist. Es wird eine engere Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Personenschutz ebenso geben wie die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen zivilen und privat organisierten Personenschutz. Es ist aber auch die dynamische Entwicklung von Technik und Elektronik, die sich stark auf den Personenschutz auswirkt. Heute ist es nicht selten, dass die zu schützenden Personen vermehrt aus dem Internet mit Bedrohungen konfrontiert sind. Aus diesen Bedrohungslagen paxisnahe Personenschutzkonzepte zu entwickeln und abzuleiten, das ist eine neue Herausforderung für die Branche. Heut muss ein Personenschützer einfach Bescheid wissen, wie Lauschangriffe abgewehrt werden können und welche Gefahren sich für die Auftraggeber aus dem Internet ergeben. Ich sage nicht, dass der Personenschützer derjenige ist, der in diesem Bereich als Spezialist auftritt. Ich behaupte aber, dass ein zeitgemäßer Personenschutz sich mit dieser Thematik professionell auseinanderzusetzen hat. Damit sind wir wieder beim Thema Ausbildung für den Personenschutz. Es würde mich nicht wundern, dass bei einem der nächsten Seminare ein Grundkurs für Internet- und Telefonie und die damit verbundenen Gefahrenquellen auf der Agenda stehen werden. In diese Richtung würde ich den Personenschutz gerne weiterentwickelt sehen.

SPARTANAT: Kommen jetzt auch neue Herausforderungen auf die Aktiven im polizeilichen und militärischen Dienst zu?

Gert R. Polli: Auch hier ein eindeutiges Ja. Die Herausforderungen liegen in neuer Technik, angepasster Taktik und einem deutlichen Aufwachsen des Personals. Das sieht man bereits jetzt in Deutschland aber auch in Österreich. Beide Staaten ziehen die notwendigen Konsequenzen einer angespannteren sicherheitspolitischen Lage – sowohl im Inneren als auch was das sicherheitspolitische Umfeld anbelangt. Noch sind wir nicht so weit, beide Bereiche nebeneinander friktionslos arbeiten zu sehen. Strukturelle und mentale Unterschiede zwischen Militär und zivilen dienstlichen Strukturen sind nach wie vor schwer zu überbrücken. Das jüngst Beispiel der nicht erfolgten Abstimmung zwischen HNaA und BVT im Ermittlungskomplex um einen türkischen Hacker in den USA spricht Bände. Für eine Zusammenlegung verwandter Bereiche der Dienste fehlt in Österreich der politische Wille. Es wird aber die Bedrohung und die eingeschränkten finanziellen Mittel sein, die Regie führen werden, diese beiden Bereiche näher zueinander zu führen.

„Eine privat organisierte Terrorismusgekämpfung oder vielleicht sogar eine private Quellenbewirtschaftung, die Erkenntnisse daraus an die Sicherheitsbehörden verkaufen, ist für mich nicht denkbar.“

SPARTANAT: Glauben Sie, dass auch für nachrichtendienstliche Tätigkeiten als Dienstleistung ein zunehmend großer privatwirtschaftlicher Markt entsteht? Wenn „ja“ wie könnte der konkret aussehen?

Gert R. Polli: Ich glaube nicht, dass private Nachrichtendienste in Europa, speziell in Österreich einer erfolgreichen wirtschaftlichen Zukunft entgegensehen. Zwar ist allerorts die Tendenz zur Auslagerung von Sicherheitsdienstleistungen erkennbar. Aber eine privat organisierte Terrorismusgekämpfung oder vielleicht sogar eine private Quellenbewirtschaftung, die Erkenntnisse daraus an die Sicherheitsbehörden verkaufen, ist für mich nicht denkbar. Anders ist das aber für die Themenbereiche Corporate Security größerer Unternehmen. Hier geht die Entwicklung sehr klar in Richtung Business Intelligence. Die meisten großen Unternehmen bauen solche Dienstleistungen im eigenen Bereich auf. Kleiner Unternehmen können sich solche Spezialisten oftmals nicht leisten. Ich denke, dass dieser Bereich künftig eine Wachstumsbranche werden könnte. Es muss aber auch erwähnt werden, dass einer Vielzahl solcher private Dienstleister die Qualifizierung dafür schlicht und einfach fehlt. Dadurch kann für den Kunden oftmals ein nicht wiedergutzumachender Schaden eintreten.

SPARTANAT: Nach der großen Wanderung des letzten Jahres, den islamistischen Terrorismus und der Krise um die Ukraine hat es den Anschein, dass der Staat wieder seine Aufgaben wie Sicherheit stärker selbst in die Hand nehmen will. Kommt es zu einer Renaissance des Staates oder wird die Tendenz zum Outsourcing auch bei der Sicherheit anhalten?

Gert R. Polli: Die Rolle des Staates in Konflikten wie jenen in der Ostukraine, Irak oder Syrien ist und bleibt unbestritten. Die Tendenz zum Outsourcing für ganz spezielle Sicherheitsleistungen wird jedoch anhalten. Vor allem Nachrichtendienste haben die Tendenz über Scheinfirmen oder auch nur Partnerunternehmen sich der parlamentarischen Kontrolle über ihr Tun zu entziehen. Die Aufrüstung der sogenannten oppositionellen Kräfte in Syrien durch Partner westlicher Nachrichtendienste ist ein sehr typisches Beispiel für diese Tendenzen. Was wir sehen werden, ist eine stärkere Spezialisierung solcher outgesourcten Dienstleistungen. Der typische Söldner, den wir aus der Vergangenheit kennen wird abgelöst durch den Jihadisten, der sich aus religiösen und auch anderen Gründen in Kriegsgebiete begibt. Es werden künftig andere Dienstleistungen sein, die im Mittelpunkt von sicherheitsrelevanten Outsourcing stehen werden. Das gilt insbesondere für den Cyberbereich, welcher derzeit eine unglaubliche Dynamik durchläuft.

SPARTANAT: Danke für das Gespräch.

GERT R. POLLI im Internet: http://www.gertpolli.com/de/

PROTECT AND PREVENT

organisiert Personenschutz Ausbildungen und sicherheitsrelevante Seminare für Angestellte der Privatwirtschaft sowie für aktive Militär- und Polizeikräfte im deutschsprachigen Raum Europas.

Diese Seminare und Konferenzen bieten dann die Möglichkeit, berufliche Fähigkeiten individuell zu trainieren und zu vertiefen. Auf den ein- bis dreitägigen Veranstaltungen treffen die von uns über- prüften Teilnehmer auf die international agierenden Trainer und Referenten.

Kern der Events ist die  intelligente Kombination von Praxis-, Taktik-, und Theorieeinheiten in Verbindung mit Erste-Hand-Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch auf professionellem Niveau.

PROTECT AND PREVENT 2017

4 Tage Schloss Krastowitz Klagf. / 1 Behörden Tag + 3 öffentliche Tage

13. bis 16. Juli 2017 – 875,- Euro 

PROTECT AND PREVENT im Internet: www.protect-and-prevent.at/

ULF WANDERER im Internet: www.ulf-wanderer.at