Nach den Anschlägen von Paris stellen sich alle die brennende Frage: Und Deutschland? Wir haben mit Ralf Kassner – ehemals GSG9 und jetzt Leiter von Wodan Security – gesprochen und wollten wissen: Was sind die Szenarien? Sind die deutschen Behörden und Spezialeinheiten vorbereitet? Und was können Unternehmen und Einzelpersonen machen, um angesichts drohender Terrorgefahren sicherer zu sein?

SPARTANAT: Die Attentate von Paris wirken wie ein dringend warnendes Vorzeichen. Wie sieht es für Deutschland aus?

Ralf Kassner: Ich habe die Nachrichten im Ausland gesehen und war – wie die meisten Menschen – schockiert, aber nicht überrascht. Erneute Anschläge wurden ja vielfach angekündigt bzw. angedroht. Wie es für Deutschland aussieht ist schwer zu sagen. Darüber streiten sich ja bereits gut bezahlte Sicherheitsspezialisten. Auch gibt es aktuelle Drohungen gegen unser Land. Die Frage ist meiner Meinung nicht „ob“, sondern „wann“?

Als denkbare Ziele gelten insbesondere die Weihnachtsmärkte und -feiern, aber auch die Karnevalsumzüge wären ein Szenario mit großer Wirkung und kaum zu sichern.

Frankreich, Belgien, England, Spanien und Dänemark sind nicht weit entfernt, dazu kommt die unkontrollierte Einreise vieler Flüchtlinge. Wenn ich bedenke, dass ich bei der Einreise am Flughafen Madrid zwei Stunden bei Passkontrollen verbracht habe und in Deutschland unkontrolliert Leute über die Autobahn laufen und aus Zügen springen, dann gibt das Anlass zur Sorge und diese Diskrepanz ist nicht nachvollziehbar. Das bedeutet nicht, dass wir kein Verständnis für die Aufnahme von Bedürftigen haben, aber es kommen eben nicht nur Zahnärzte und Wissenschaftler. Deshalb sollten zumindest alle Menschen registriert und überprüft werden.

Als denkbare Ziele gelten insbesondere die Weihnachtsmärkte und -feiern, aber auch die Karnevalsumzüge wären ein Szenario mit großer Wirkung und kaum zu sichern.

Mögliche Ziele mit Symbolcharakter sind aber auch Kaufhäuser wie das Kadewe, das Bankenviertel in Frankfurt, die Chemieindustrie an Rhein und Ruhr und eben Konzerte und alle Großveranstaltungen.

SPARTANAT: Die blöde Frage, die vermutliche die meisten stellen: Ist Deutschland vorbereitet? Und was machen deutsche Einheiten, um so eine Katastrophe zu vermeiden?

Ralf Kassner: So vorbereitet wie man eben sein kann, wenn es an Informationen der Nachrichtendienste fehlt.

Ist es nicht möglich die Täter im Vorfeld auszuschalten, dann kann man nur noch reagieren und nicht agieren. Das ist jedoch immer schwierig. Wenn man sich die Aufnahmen der Anschläge anschaut, dann ergeht es den meisten Menschen so, dass sich die Explosionen am Stadion kaum von Knallkörpern unterscheiden. Auch die Gäste im Konzert haben zunächst gedacht, dass die Schussgeräusche Teil der Show sind und nicht ein Anschlag. Eine schnelle Identifizierung der Täter ist auch für die Sicherheitskräfte nicht leicht. Siehe den Täter am Strand in Tunesien (Bild unten) .

Der Täter mit Turban, Vollbart und weißem Gewand ist auch Geschichte.

Deshalb legen wir auch bei unseren Trainings einen Schwerpunkt auf den Bereich der Wahrnehmung und das peripheren Sehen. Der Täter mit Turban, Vollbart und weißem Gewand ist auch Geschichte.

Die deutschen Spezialkräfte sind gut trainiert, ähnlich unserer Kameraden aus Frankreich. Amoksituationen und Szenarios bei Massengeiselnahmen werden spätesten seit Beslan erprobt. Gemeinsame Übungen und Trainings im Atlas Verbund sollen dazu die grenzüberschreitende Schnittstelle und die Zusammenarbeit verbessern. Hier hat Deutschland (GSG9) ja auch noch den Vorsitz. Hinzu kommt das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin.

Probleme bestehen meiner Meinung nach immer noch im Bereich der Ausstattung der Polizei, insbesondere bei den Bundesländern. Hier sollte möglichst schnell im Bereich der Schutzausrüstung und Aufklärungstechnik nachgerüstet werden.

Insgesamt denke ich aber, dass wir uns bei den vorhandenen Spezialeinheiten in guten Händen befinden. Aber jede Einheit ist nur so stark wie politisch gewollt und wie durchsetzungsfähig ihre Führungskräfte sind. Um es mit den Worten Alexander der Große zu sagen: „Ich fürchte keine Armee von Löwen, die von einem Schaf geführt wird, ich fürchte eine Armee von Schafen, die ein Löwe führt.“

SPARTANAT: Es betrifft ja nicht nur den Staat, sondern alle Bürger – im Bild die Bataclan in Paris von innen. Wie können sich zum Beispiel private Unternehmen vorbereiten ?

Ralf Kassner: Es ist etwa wie in den 1970er Jahren bei der Terrorismusbekämpfung. Erst als das eigene Land betroffen war, wurden Gelder freigegeben um Ausbildung und Ausrüstung zu verbessern. Ich denke es gibt schon Gedanken um Maßnahmen umzusetzen, aber Sicherheit kostet Geld und wird leider oftmals erst angefordert, wenn es brennt.

Wir haben schon einige Konzerne beraten und die Sicherheitskräfte vorbereitend auf diese Art der neuen Gewalt sowohl taktisch als auch technisch unterstützt. Unserer Meinung nach sollten alle Personenschutzkräfte der Dax Unternehmen, großer Banken etc. über die gleiche Taktik verfügen, da bei gemeinsamen Veranstaltungen nie ein komplettes Team vor Ort ist. Unser Ziel ist es, dass das Unternehmen A mit B und C in einer Notsituation über die gleichen Fähigkeiten verfügt und ohne lange Absprachen ihre Schutzpersonen evakuieren können und ein Szenario, z.B. eine Amoklage während einer Vorstandssitzung bewältigen können, wenn keine staatlichen Kräfte vor Ort sind.

Hierfür bieten wir im kommenden Jahr spezielle Taktik Tage an. Auch kann man durch einfache bauliche Veränderungen einen Zeitgewinn erzielen und der Evakuierungsplan im eigenen Gebäude sollte upgedatet sein.

Einen besonderen Schwerpunkt würde ich auf die Vor- und Nachaufklärung legen und Bewachungskräfte im Objektschutz sollten dementsprechend geschult sein. Im Bereich der Ausrüstung kann man in der heutigen Zeit auch einmal über eine Klasse IV Schutzweste und extra Magazine nachdenken.

Sinnvoll erscheinen regelmäßige Teamtrainings, nachrichtendienstliche Auswertungen und qualifizierte Fortbildungen, auch im medizinischen Bereich. Dafür haben wir in Deutschland einige gute Anbieter. In einem Szenario ist die Kommunikation stark eingeschränkt, hier sollten ebenfalls Übungen unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Für Rückfragen stehen wir Euch gerne zur Verfügung.

Jeder kann sein eigenes Sicherheitsmanagement prüfen. Wohin reise ich? Auf welche Veranstaltung gehe ich? Wo ist mein Back-up-Plan im Falle eines Anschlages?

SPARTANAT: Gibt es Tipps für den Einzelnen? Was sollte man meiden oder beachten, ohne paranoid zu sein? Wenn es passiert, was tun?

Ralf Kassner: Ich sehe zunächst den Staat in der Pflicht, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Einige Viertel – so wie Molenbeek in Belgien – sollten unbedingt vermieden werden.

Wie ich schon einmal erwähnte, kann aber jeder sein eigenes Sicherheitsmanagement prüfen. Wohin reise ich, auf welche Veranstaltung gehe ich, wo ist mein Back-up Plan im Falle eines Anschlages? Wo befinden sich Fluchttüren und Notausgänge? Wie reagiere ich bei Knall, Rauch und Panik, wo kann ich mich verstecken? Regelmäßige Medic Trainings machen auch Sinn, die über eine normale Ausbildung hinaus gehen und sich auch mit der Versorgung von Schuss- und Brandverletzungen befassen.

Wir haben in der letzten Zeit viele Anfragen von Zivilen bekommen und überlegen ob wir eine allgemeine Schulung – im Bild: Personenschützer im Training – anbieten sollten, denn Theorie allein reicht nicht aus.

Ausrüstungsfirmen haben mir von einem erhöhten Verkauf von Schlagstöcken und Pfefferspray berichtet. Das macht aber nur Sinn, wenn man damit auch umgehen kann und hat natürlich wenig Wirkung gegen Kalaschnikow und Sprengmittel.

Ein gutes Training, am besten eine qualifizierte Ausbildung, kann das eigene Leben und das anderer schützen, deshalb von uns noch einmal „Hut ab“ vor dem Mut und dem entschlossenen Einschreiten der Reisenden im Thalys Zug von Amsterdam nach Paris, der sonst in einer Katastrophe geendet hätte. Auch sollte man nicht nur an Paris denken, sondern auch an Istanbul und Beirut. Und natürlich unser Beileid an die Angehörigen der vielen Opfer und baldige Genesung für die Verletzten. Lob und Anerkennung für das professionelle Vorgehen verdienen hier die französischen Sicherheitskräfte und die vielen Helfer.

RALF KASSNER, Jahrgang 1967, gehörte 20 Jahre lang den Polizeispezialeinheiten GSG 9 und SEK an und war dabei für die Bekämpfung terroristischer Bedrohungen, der organisierten Kriminalität, Beratung bei Geiselnahmen und Erpressungen in vielen hundert Einsätzen tätig. Zu den Stationen seiner Laufbahn gehören die Anti-Terror-Spezialeinheit der Bundespolizei GSG 9, das Spezialeinsatzkommando SEK, die Zielfahndung des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, sowie der Personenschutz hochrangiger Persönlichkeiten und die Sicherheitskoordination für Aida Cruises. Außerdem wirkte Ralf Kassner in vielen nationalen und internationalen Ausbildungsmaßnahmen mit, wie z.B. bei der Delta Force, SEAL Team 6, SAS und weiteren internationalen Spezialeinheiten aus Europa, Nordafrika und Fernost. Seit 2012 leitet er Wodan Security.

WODAN SECURITY im Internet: www.wodan-security.de

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