Zwei Jahre nach dem Abzug der Bundeswehr erfüllt sich die Weisheit, dass es kein Vakuum gibt, sondern dass sich dieses mit anderen Kräften füllt. Erstmals seit dem Jahr 2001 ist es den Taliban am 28. September in Afghanistan gelungen, eine Provinzhauptstadt zu nehmen. Und das ist ausgerechnet Kunduz, in einem Gebiet, das zu Beginn des Engagements der Bundeswehr als sicher galt. Es läuft zwar eine Gegenoffensive der Regierungstruppen, aber man wird die nächsten Tage sehen, ob das etwas bewegen wird.

Die Einheiten der afghanischen Regierung haben sich zum Flugplatz zurückgezogen.

In Videos zeigen die Taliban, dass sie auch schwere Ausrüstung erobert haben. Die Aufnahmen gleichen jenen aus dem Irak: Humvees fallen in die Hände des islamistischen Kämpfer, ebenso Panzer. Taliban zeigen sich auch mit einem „eroberten“ Krankenwagen. Sie haben auch das 200 Betten Krankenhaus von Kunduz besetzt.

Gleichzeitig hat das „Islamische Emirat Afghanistan“ einen Erlass herausgegeben, der erklärt, dass NGOs und Firmen in Kunduz weiter arbeiten sollen. Mit einer Notfallnummer dabei, bei der man anrufen soll, sollte es Probleme mit den Kämpfern geben. Vertrauenserweckende Maßnahmen …

In der Stadt weht die weiße Fahne des Emirates. Die neue Herren zeigen sich. Nach dem Sturz der Taliban-Regierung 2001 begann zunächst der Militäreinsatz OEF, danach der Einsatz der Internationalen Sicherheits- und Unterstützungskräfte (ISAF) in Afghanistan. Nach Ausweitung des ISAF-Mandats auf die nördlichen Provinzen übernahm im Januar 2004 die Bundeswehr eine US-amerikanische Liegenschaft mitten in der Stadt, in der bis Ende Mai 2006 das Wiederaufbau-Team für die Provinz Kunduz (engl. Provincial Reconstruction Team (PRT), unter Beteiligung verschiedener Nationen (Belgien, Niederlande, Ungarn, Rumänien, USA), stationiert war. Seit Juni 2006 war das PRT in der Nähe des Flughafens im deutschen Feldlager Kunduz untergebracht. Am 6. Oktober 2013 wurde das Feldlager und die Region Kunduz in eine regionale Sicherheitsverantwortung übergeben.

Aus dem Gefängnis von Kunduz sind die Gefangenen von den Taliban freigelassen worden. Der (einstweilige) Fall von Kunduz schließt wohl die Geschichte der Stadt als ab. Geschichte ist auch die deutsche Operationsführung in Kunduz seit 2009. Die Taliban hatten den längeren Atem.

Auf den Bilder der Taliban zu der Offensive sieht man auch Leute in den Uniformen der Afghanischen Nationalarmee (ANA), aber immer mit maskierten Gesichtern. Man kann wohl davon ausgehen, dass ganze Einheiten übergelaufen sind. Zu sehen sind auch Leute, die von der Ausrüstung her wie ANA Commandos ausschauen und die vor der Fahne des Islamischen Emirates mit Taliban zusammen posieren. Kämpfer auf anderen Aufnahmen schauen fast aus wie jene des Islamischen Staates: Shalwar Kamiz (Pyjamaanzug) in Woodland, Gesichtsmasken.

Heute haben die Taliban auch den Flughafen von Kunduz eingenommen.