Nur 30 Minuten Richtung Mosul braucht der Reisende von Erbil, der Hauptstadt der irakischen Teilrepublik Kurdistan, um an die Front zum Islamischen Staat – abfällig auch „Daesch“ genannt – zu gelangen. Die kurdischen Millionenstadt selbst wirkt ruhig und friedlich. Wer hier ankommt, wird allerdings leicht getäuscht. Kaum Sicherheitskontrollen. Entspannte irakische Beamte. Wären da nicht nachmitternachtliche westliche durchtrainierte Ankömmlige, die mit auffällig langen Peli Cases in schnellem Schritt die Ankunftshalle durchqueren … Wären da nicht die Rotten an Blackhawks, die vor Morgengrauen von einem Stützpunkt beim Flughafen in den Einsatz fliegen … Nein, keine „Boots on the Ground“, versichert das amerikanische Verteidigungsministerium, sicher nicht.

Wir von SPARTANAT haben eine Private Security Company (PSC) im Nordirak bei ihrer Arbeit begleitet, waren mit den Leuten von Trans Atlantic Viking Security (TAV) auf dem Weg über die Grenzen Kurdistans. Ziel: die vordersten Linien im Kampf gegen den Islamischen Staat. Der Weg dorthin: von Erbil nach Kirkuk, von dort noch ein Stück weiter nach Süden zum Gefechtsstand eines irakischen Generals. Außerhalb von Erbil beginnt das „wilde“ Kurdistan. Wir sind mit gepanzerten Fahrzeugen unterwegs, die Begleiter bewaffnet, alle haben zuvor eine Sicherheitseinweisung bekommen. Dass ein Fahrzeug angeschossen wird, ist nichts Ungewöhnliches. Auch  IEDs (Improvised Explosive Devices, also Bomben am Straßenrand) sind möglich. An uns zieht dieser Kelch vorüber, aber die Unterhaltung zwischen Fahrzeugkommandant und Fahrer unterwegs ist aussagekräftig genug: „He, ist das hier nicht die Stelle, wo wir das letzte Mal angesprengt wurden? War eine kleine Ladung, hat uns zum Glück nur einen Reifen und einen Kotflügel gekostet.“

Am Weg nach Kirkuk passieren unsere Fahrzeuge mehrere Checkpoints, an denen wir jeweils – eindeutig erkennbare Westler – durchgewinkt werden. Das Land wird weniger hügelig, aride Ebene übernimmt das Erscheinungsbild. 45 Minuten bis Kirkuk, das alles wirkt auf der Landkarte weiter entfernt. Bei der Durchfahrt erkennt der Beobachter Patrouillen, die durch die Straßen von Kirkuk streifen. Schon vor der Stadt waren am Straßenrand befestigte Compounds zu sehen, die allerdings so aussehen, als ob die Amerikaner sie hier zurückgelassen haben. Hinter Kirkuk reicht der Islamische Staat allerdings bis fast an die Autostraße heran. Von dieser aus kann man die Stellungen der kurdischen Verteidiger von hinten mustern, mal als einzelne Erdhügel mit aufgesetztem Mini-Bunker, dann wieder als ein ganzer Wall, der wie ein aufgeschnittener Schützengraben wirkt. „Der Rauch dort hinten“, meint der Fahrer, „da sitzt ISIS“.

„Ich will hier gegen den Islamischen Staat kämpfen, wenn da nichts mehr los ist, werde ich nach Syrien gehen. Wenn dort nichts ist, nach Libyen.“

Wir schlängeln uns zwischen Hescos, steingefüllten Drahtkörben, durch, betreten einen Stützpunkt und werden gleich weitergeleitet in ein getäfeltes Zimmer mit schweren Sitzgarnituren. Brigadegeneral Aras empfängt uns freundlich. Er ist mit Peschmerga – mit kurdischen Einheiten und Irakischer Armee – für einen längeren Frontabschnitt zuständig. Zuerst sind noch lokale Politiker mit im Raum. Kirkuk ist nicht mehr Teil der Autonomen Region Kurdistan. Trotzdem stehen die Peschmerga hier an der Front. „Wir müssen hier gemeinsam die Verteidigung organisieren, jeder hilft mit“, erklärt der General. Er hat in Schweden studiert. Seine Frau sei Genetikerin, erzählt er. Die Tür geht auf, ein Untergebener bringt eine Meldung. Man sieht ihm an, dass es keine gute ist … Am Zettel steht, dass eine Autobombe explodiert ist. Dem General sieht man die Erschütterung an. Dass es dem Feind wieder gelungen ist zuzuschlagen … „Es ist nicht leicht hier“, meint er, als müsse er eine Entschuldigung vorbringen.

Die Front sei stabil, erklärt uns der General. Aber man habe mit Problemen zu kämpfen. Nachschub und Versorgung funktionieren nicht immer. Die größere Sorge aber: seine Soldaten haben erst kürzlich den Sold für März erhalten. Dass gleichzeitig alle „Staatsangestellten“ im vom Islamischen Staat besetzten Mosul ihr Geld pünktlich erhalten haben, stößt auf schwerstes Unverständnis. Das seien Mittel, die vom irakischen Staat quasi direkt an den IS gegangen sei. Auch die vermeintlichen Verstärkungen mit schiitischen Milizen sieht man hier im Hauptquartier als sehr zweischneidig an: es sei schon zu Zusammenstössen gekommen, bei denen ein Kurde getötet wurde. Überhaupt besteht die Befürchtung, dass die Shia-Milizen, dort, wo sie sind, nicht mehr weggehen werden. Sie patrouillieren auch durch Kirkuk.

Aber General Aras will uns etwas anderes zeigen. Seine Eingreiftruppe, die aus lauter Freiwilligen besteht, die aus dem Westen kommen und sich den kurdischen Peschmerga im Kampf gegen den Islamischen Staat angeschlossen haben. Die Überraschung wird präsentiert … Es kommen zwei junge Männer durch die Tür, die sichtlich weder Kurden noch Iraker sind, dann drei weitere und letztendlich noch ein paar. Begrüßung in amerikanischem Englisch. Die meisten von den 15 Männern sind US-Amerikaner, ein paar Kanadier, ein Europäer. Ein paar von ihnen sind ehemalige Marines, einer trägt die Infanteriekampfspange der US-Armee am Plate Carrier, einer meint, er habe vorher noch nie was Militär zu tun gehabt. Die Truppe liegt altersmäßig zwischen 20 und 30 Jahren, mit ein oder zwei Ausreißern gegen 40 hin.

„Ich will hier gegen den Islamischen Staat kämpfen“, bekennt einer. Er sei zweimal vorher mit den Marines im Land gewesen. Mann müsse jetzt etwas unternehmen. „Mein Krieg ist noch nicht vorbei.“ „Man muss die bekämpfen“, meint ein anderer zu uns. „Ich bin jetzt hier, wenn da nichts mehr los ist, werde ich nach Syrien gehen. Wenn dort nichts ist, nach Libyen.“ So mancher der Freiwilligen hat alles aufgegeben um ISIS am Ursprung zu bekämpfen.

Nicht nur einer hat berichtet, dass er sein Auto verkauft hat um das Geld für das Flugticket und ein wenig Ausrüstung zu haben. Einer der Medics ist mit medizinischem Verbrauchsmaterial (Bandagen, Tourniquets, …) im Wert von über 2.000 Dollar angekommen. Inzwischen hat er gerade noch genug für sein eigenes IFAK. Ein weiterer der Freiwilligen war in der Army. Die wollte ihn nach zwei IEDs und vermutlich entsprechendem PTSD nicht mehr. Jetzt ist er wieder bei seiner „Familie“, bei einer kämpfenden Truppe. „Wir haben alle Leute, die zu uns gekommen sind, mit Behörden abgeklärt“, meint der General später zu uns. „Wir wollen genau wissen, wer da kommt.“ Die CIA und die europäische Polizei will das auch wissen. Das gibt sicher interessante Gespräche, wenn einer von denen nach Monaten zurück will in die Heimat. Das ist allerdings nicht bei allen Freiwilligen der Fall. Manche meinten, sie würden eigentlich gerne ganz in Kurdistan bleiben.

 

HIER geht es zum zweiten Teil: In der vordersten Linie