Aufbruch! Die Leute legen ihr Gear an. Die westlichen Freiwilligen bei den Peschmerga schauen ganz OK aus, haben größtenteils wohl Plate Carrier, Uniformen und Chest Rigs mitgenommen. In Kurdistan bekommen sie eigentlich nichts: sie werden nicht bezahlt, es gibt nur Kost und Logie. Also kurdisches Essen und eine Schlafmatte im Stützpunkt. Auf die Frage, was sie bräuchten, meint einer von den Amerikanern: „MRE’s bitte.“ Die Peschmerga haben nicht das Geld für eine entsprechende Verpflegung, zumeist gibt es Reis. Fleisch ist eine Seltenheit. Auch ansonsten hatte man nicht den Eindruck, als ob die Truppe im Wohlstand leben würde: Munition und Waffen werden selbst beschafft. Die Sanitäter des Teams sind auf der Suche nach dem ganzen dazu nötigen Material, vom Tourniquet aufwärts hin zum vorgeschriebenen Sanitätsmaterial für einen Paramedic, wie es im Ranger-Handbuch beschrieben wird.

Der Konvoi setzt sich in Bewegung und fährt mit Pick-Ups als Gefechtsfahrzeugen vom Stützpunkt durch kleine Ortschaften vor. Immer wieder und schneller hintereinander Checkpoints. Unter Tags geht es leger zu; Uniformierte in Badschlapfen, kaum ein fortgeschrittener Stellungsbau. Wir kommen bis ganz nach vorne: die vorderste Front ist ein ausgebauter Stützpunkt, der mit Baumaschinen aufgeschüttet wurde, damit er die Ebene überragt. Mit seinen Bunkern aus Hohlziegeln oder umgedrehten „U“s aus Beton und einem aufgeziegelten Turm, der zur Beobachtung und als Quartier dient, wirkt das Ganze wie eine kleine Burg, Sandsäcke auf den Wällen. Dahinter ein Pick-Up mit einer „Dushka“, einem schweren Maschinengewehr, Granatwerfer nebenan aufgestellt. Die ganze Front besteht aus solchen Stützpunkten oder aus Häusern, die mit einem Erdwall umgeben werden.

„Siehst du die schwarze Fahne?“ Tatsächlich ist sie schwer zu erkennen. Auf halbe Entfernung weht fröhlich eine kurdische Flagge. Im Dorf dahinter sitzt ISIS – so die gängige Bezeichnung hier vor Ort. Aber der Islamische Staat verhält sich am frühen Nachmittag ruhig. Man habe es mit einem militärisch kompetenten Gegner zu tun, erzählen uns Freiwillige mit Kampferfahrung aus früheren Touren im Irak. So sei die Einheit einmal in einen planmäßig aufgesetzten Hinterhalt der Dschihadisten gelaufen und mit knapper Not entkommen. Die Gegner hätte auch Nachtsicht- und Wärmebildgeräte. Wie er auf den Schluss komme, fragen wir. „Die wissen nachts immer genau, wo wir sind.“ Bei Tag ist es ruhig, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass ISIS sich verbirgt. „Wir finden in den Ortschaften, die wir zurückerobern, Tunnel, manchmal einen Kilometer lang“, erzählt uns ein anderer. Die Dschihadisten verbergen sich so vor der Luftüberlegenheit der Koalitionstruppen. „Wir hatten hier im Bereich schon zweimal JDAMs“, erfahren wir. Wenn es stressig wird, tauchen Beobachterteams auf, die die lasergeleiteten Bomben mit 500 bis 1000 Kilogramm in ihr Ziel dirigieren. Französische, britische oder kanadische Spezialkräfte seien da am Werk …

Der Islamische Staat verhält sich am frühen Nachmittag ruhig. Man habe es mit einem militärisch kompetenten Gegner zu tun, erzählen uns Freiwillige mit Kampferfahrung aus früheren Touren im Irak.

Es ist ein schönes, weites Land, in das wir von hinterm Wall hinausspähen. Es wirkt so friedlich. „Dort wo die Hunde zum Fressen hinlaufen, liegen tote Terroristen im Gras“, erklärt einer der kurdischen Kämpfer von den Folgen des letzten versuchten Angriffs auf den Stützpunkt, der abgeschlagen wurde. Ansonsten ist auch am Weg zurück der Frieden sehr präsent. Das erste Dorf liegt gleich auf der Rückseite des vordersten Stützpunkts. Kinder spielen auf der Straße, Frauen stehen vor der Hoftür. „Für uns sind die Freiwilligen wichtig“, meint der irakische General. „Sie helfen wesentlich mit, die Dörfer hier zu schützen.“ Von denen sind manche jesidisch. Und man wisse, was ISIS mit diesen „Ungläubigen“ macht. Die Westler – vor allem die mit militärischer Erfahrung – bringen auch Kompetenz mit. Die Kurden sind sehr tapfer und gute Soldaten, meint einer zu uns. Aber es fehlt ihnen an militärischen Wissen, wenn es um komplexere Abläufe geht. Taktiktraining ist hier ein großer Gewinn. Und es mangle vor allem an schweren Waffen. „Wir sind sehr dankbar für die internationale Unterstützung, vor allem auch von den Deutschen“, bekennt General Aras.

Wir sehen MG3 und auch komplett nagelneue G3 bei den Kurden vor Ort. Die Ausbildung von Multiplikatoren durch die Bundeswehr in Erbil, die dann wiederum Kurden an der Front ausbilden, scheint aber nicht immer gut zu funktionieren. Wir bekommen erzählt, dass man schon Kurden erlebt habe, die sich darüber beschwert haben, dass der Laser bei ihrem G36 nicht funktioniere. Auf die Antwort, dass das Gewehr keinen Laser habe, deuteten die Besitzer auf die Rotpunkt-Optik. Ein Problem ist auch, dass die Munition, die die Bundeswehr mitgeliefert hat, zu wenig ist. Beim G36 ist das weniger ein Problem als beim dort exotischen ehemaligen NATO-Standard Kaliber des G3. Und auch die Kosten des Krieges sind im Kurdistan mit aktueller Rezession nicht ohne: eine Kalaschnikow bekommt man ab rund 550 Dollar, ein Schuss dafür ist einen Dollar teuer. Wer sich den Luxus einer präziseren M4 leisten will, legt 8.000 Dollar dafür auf den Tisch, fast 100 Dollar für das leere Magazin. Die deutsche Versicherung, dass das G36 in keine falschen Hände komme, wirkt da etwas schal. Das G36 wird am Markt von Erbil über dem M4 gehandelt. Den Gewinn, den man mit dem Verkauf dieser Waffe machen kann, ist beträchtlich Und sicher auch verlockend.

Was wir an Soldaten und Kämpfern begegnen, macht auf uns einen sehr unterschiedlichen Eindruck. Wenn es nach der Optik geht: Vielfach sieht man die am besten ausgerüsteten kurdischen Soldaten in Erbil – vor staatlichen und privaten Einrichtungen Wache stehen. An der Front wird die Truppe bunt, man erblickt jede Art Uniform, der größte Teil aus China und über „Tactical Shops“ erwerbbar. Die Hierarchie wirkt stark, die Disziplin eher nicht, die Kurden sind aber harte und erfahrene Kämpfer. Als wir durch die Dörfer zurückfahren sehen wir einem weiteren Typ kurdischer Kämpfer: Angehörige der PKK beäugen uns. Sie sind sauber uniformiert, junge Mädchen dabei. Alle, mit denen wir geredet haben, äußern sich respektvoll über die PKK-Kämpfern und Kämpferinnen. Allerdings auch mit der Meinung, dass die PKK genau daher und wegen ihres Mutes bereits sehr „ausgeblutet“ und geschwächt sei. Es ist ein Kampf, der den Kurden aufgezwungen wurde. „Wissen Sie, unsere Männer sind hier um ihre Heimat zu verteidigen“, meint General Aras zu uns. „Sie haben Familien, diese wollen sie besuchen oder sie wollen letztendlich einfach nach Hause und nicht Krieg führen müssen.“ Die Terroristen von ISIS dagegen, die würden kämpfen und auch sterben wollen. „Es ist ihnen vollkommen egal.“

Am Rückweg nach Erbil halten die gepanzerten Fahrzeuge am Straßenrand. „Ich will noch Obst kaufen“, hat der Chef des Konvois gesagt. Wir stehen bei einem Standler, alle haben die Waffen umgehängt. Faustgroße Radieschen sind eine echte Verführung. Auch Erbil ist keine friedliche Insel. Im Umland die großen, wohlorganisierten Flüchtlingslager, die die Menschen aufgenommen haben, die zum Beispiel aus Mosul geflohen sind. In Erbil selbst kann der Besucher dagegen wunderbare Erinnerungsfotos im Touristenstil schießen, erfährt dann aber auch gleich, dass ein paar hundert Meter weiter an einem Regierungsgebäude vor nicht allzu langer Zeit eine Autobombe explodiert ist. Oder man ist bei einem BBQ – 200 Meter vom amerikanischen Konsulat entfernt – wo auch vor kurzem eine Bombe gelegt wurde. „Das Cafe gegenüber, wo wir immer hingegangen sind, hat nicht mehr aufgemacht“, erfahren wir von Menschen aus dem Westen, die hier arbeiten. Ja, viele „Expats“ – Fachkräfte, die für ihre Unternehmen hierher geschickt wurden – seien schon gegangen. Wegen der Rezession, die ja für die Kurden auch eine völlig neue Erfahrung sei … Und schnell ist das Gespräch auch auf die Terroristen zurückgekehrt. Beunruhigt auch dadurch, dass ISIS genau dieser Tage Ramadi erobert hat. Es gibt auch IS-Zellen in Erbil. Die Front ist nur 30 Minuten entfernt.

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